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Gerichtsmedizin
 
Definition
Die Gerichtsmedizin – auch Rechtsmedizin genannt – „ist die Lehre von der Entstehung, Diagnostik und Beurteilung rechtlich relevanter Einwirkungen auf den menschlichen Körper“ (Keil, 2009, S. V). Sie zählt zu den ältesten Teilgebieten der Medizin. Manchmal wird Gerichtsmedizin auch fälschlicherweise als Pathologie bezeichnet. In der Medizin wird jedoch zwischen Pathologie und Rechtsmedizin unterschieden. Während die Pathologie Krankheiten diagnostiziert und ihre Entstehung ergründet, beschäftigt sich die Rechtsmedizin mit unklaren Todesfällen und Verletzungen von Opfern.
 
Etymologisches
Der Begriff der Rechtsmedizin ist heutzutage usuell geworden, nicht zuletzt durch die Einführung eines Facharztes für Rechtsmedizin. In der lateinischen Sprache finden sich synonyme Bezeichnungen wie medicina legalis oder medicina forensis (Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin, S. 1; Mallach 1996). Der deutsche Begriff der Gerichtsmedizin ist antiquiert. Er stammt aus Zeiten, als das Fach den Gerichten diente. Da die Begutachtung eines Körpers aber alle Rechtsgebiete (Straf-, Zivil-, Sozial-, Versicherungsrecht) mit ihren spezifischen Anforderungen anbelangt, spricht man heute eher von Rechtsmedizin (Madea 2007, S. 2).
 
Anfänge der Gerichtsmedizin
Andreas Vesalius kann aufgrund der Exaktheit seines Werkes De humani corporis fabrica (1543), welches den unnatürlichen Tod thematisiert, als Begründer der modernen Rechtsmedizin angesehen werden. Im Jahre 1532 wurde durch den Reichstag zu Regensburg die Constitutio Criminalis Carolina verabschiedet. In diesem Gesetz wurde geregelt, dass Ärzte mit ihrem medizinischen Fachwissen bei der Verbrechensaufklärung konsultiert werden sollten (Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin, S. 2; Mallach 1996).
 
Moderne Rechtsmedizin
Als die moderne gerichtliche Medizin zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in ihren Kindheitsschuhen steckte, beschäftigte sie sich überwiegend mit Fällen der Kindstötung. Mittlerweile ist die die Zahl der Kindstötungen stark zurückgegangen; diese Fälle machen nur noch einen marginalen Anteil der Arbeit von Rechtsmedizinern aus. Heutzutage wird die Rechtsmedizin für weitaus mehr Fälle gebraucht. Sie müssen Opfer von Kriegen und von Naturkatstrophen identifizieren. Vor Gericht stellen ihre Gutachten oder Aussagen wichtige Beweismittel dar, sie treten als autonome Sachverständige auf, deren Expertise einen wichtigen Bestandteil bei der Wahrheitsfindung darstellt (Burkhard 2007, S. 2).
Derzeit zählt die Rechtsmedizin 32 Institute (Stand 2013), in denen die Gerichtsmedizin Untersuchungen anstellen kann. Die (deutsche) moderne Rechtsmedizin mit ihrem heutigen Profil und ihren derzeitigen Aufgaben findet ihren Grundstein in der Einführung des Facharztes für Rechtsmedizin (Burkhard 2007, S. 2).
 
Öffentliche Wahrnehmung
Geschichten über Verbrechen faszinieren die Menschen. Der Beruf des Rechtsmediziners wird immer häufiger als Stoffquelle für Filme, Serien oder Bücher verwendet. Die Zeichen des Verbrechens führen dank medizinischer Begutachtung zur Tataufklärung, daher avanciert der Rechtsmediziner in Filmen und Erzählungen zum eigentlichen Star. Weniger die Ermittler erregen die Bewunderung der Zuschauer, als vielmehr die Rechtsmediziner. Sie erscheinen ob ihres Wissens und ihrer Methoden als prädestinierte Verbrechensaufklärer. Die mediale Darstellung des Rechtsmediziners ist aber unwirklich. In Spielfilmen werden Gerichtsärzte über alle wirklichen Maße stilisiert und als Menschen mit nahezu übersinnlichen Fähigkeiten gezeichnet. So erfreut sich der Beruf des Rechtsmediziners wegen des medialen Booms zunehmender Beliebtheit, auch wenn die Sendungen den Beruf verzerrt wiedergeben (Keil 2009, S. V).
 
Aufgaben der Rechtsmedizin
Eine Hauptaufgabe der Rechtsmedizin besteht darin, unklare Todesfälle zu untersuchen. Es muss zum Beispiel geklärt werden, ob der Leichnam eines natürlichen oder eines nicht natürlichen Todes gestorben ist (Keil 2009, S. 17). Ein nicht natürlicher Tod liegt vor, wenn der Tod mittels äußerer Gewalteinwirkung, also durch Fremdverschulden (Tötungsdelikte), verursacht wird (Wirth/ Schmeling 2012, S. 1).
Generell untersucht die Rechtsmedizin Opfer einer Straftat, wie etwa nach Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder Körperverletzung. Aber auch Tatverdächtige können Untersuchungen unterzogen werden. Dabei stützt sich der Rechtsmediziner auf Wissen aus sämtlichen medizinischen Fachgebieten: u.a. Traumatologie (Wundenkunde), Chirurgie, Toxikologie (Lehre von den Vergiftungen), forensische Psychiatrie und nicht zuletzt Hämogenetik (DNA-Analysen). Von der Rechtsmedizin wird nicht nur erwartet, dass sie die Befunde am Körper von Tatverdächtigen oder Opfern protokolliert, sie soll unter besonderer Beachtung von strafrechtlichen Kriterien operieren. Der Rechtsmediziner muss neben seinen medizinischen Fähigkeiten auch über profunde Rechtskenntnisse – vor allem aus dem Strafrecht und Strafprozessrecht – verfügen (Wirth/Schmeling 2012, S. 3).
Ferner stellen die Rechtsmediziner mitunter Gutachten darüber aus, ob der Untersuchte für eine Gerichtsverhandlung verhandlungsfähig ist, ob er aus medizinischer Sicht eine Haftstrafe verbüßen kann, oder ob er reisefähig ist.
 
Ablauf einer Obduktion
Der Verlauf einer Obduktion – auch Sektion genannt – ist gesetzlich durch die Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Ein Leichnam muss von einem Arzt beschaut werden, der über die Todesursache eine ärztliche Bescheinigung ausstellt (Keil 2009, S. 11). Dabei wird der Tod anhand sogenannter sicherer Todeszeichen (Totenflecke, -starre oder mit dem Leben nicht zu vereinbarende Verletzungen) festgestellt (Keil 2009, S. 13). Falls es Hinweise auf einen nicht natürlichen Tod gibt, beantragt der zuständige Staatsanwalt die gerichtliche Obduktion, welche durch einen Richter angeordnet wird. Die Angehörigen können gegen eine Obduktion keinen Einspruch einlegen (Keil 2009, S. 16f.). Der Ablauf der Leichenöffnung ist ebenfalls durch die StPO festgelegt. Nach § 87 StPO haben zwei Ärzte die Sektion vorzunehmen. Einer der Ärzte muss Gerichtsarzt oder Leiter eines öffentlichen gerichtsmedizinischen oder pathologischen Instituts oder ein von diesem beauftragter Arzt des Instituts mit gerichtsmedizinischen Fachkenntnissen sein.
 
Der Arzt, der den Verstorbenen unmittelbar zuvor behandelte, darf die Obduktion nicht durchführen. Er kann aber aufgefordert werden anwesend zu sein, um weitere Auskünfte zu erteilen. Der Staatsanwalt kann der Sektion beiwohnen und die Anwesenheit des zuständigen Richters beantragen. Meistens geschieht die Leichenöffnung in Anwesenheit eines Polizisten, der die Staatsanwaltschaft vertritt.
Bei der Obduktion müssen alle drei Körperhöhlen (Kopf-, Brust- und Bauchhöhle) geöffnet werden. Während einer der beiden Ärzte das Skalpell führt, beaufsichtigt der andere Arzt den Vorgang. Anschließend erstellt jeder der beiden Ärzte ein Gutachten, das über Sterbezeitpunkt, Todesart und Todesursache Auskunft erteilt. Die besondere Herausforderung, die sich die Rechtsmedizin gegenüber gestellt sieht, besteht darin, Medizin aus kriminalistischer Sichtweise zu betreiben. Das bedeutet für den Rechtsmediziner, dass nicht nur die Todesursache zu bestimmen ist, sondern, dass er auch Eckdaten über den Tathergang liefern soll. Der zum Tod führende Ablauf wird rekonstruiert. Es wird mitunter folgenden Fragen nachgegangen: Handelt es sich um Selbst- oder Fremdbeibringung? War das Opfer handlungsfähig? Im Fall eines Tötungsdelikts mittels Schusswaffe drängt sich beispielsweise die Frage auf, ob das Opfer sich in einem Zustand der Arg- und Wehrlosigkeit befand. Gerade letztere Frage spielt eine entscheidende Rolle, wenn es vor Gericht darum geht, ob der Täter eines Mordes (hier: heimtückisch) oder Totschlages schuldig ist (Wirth/Schmeling 2012, S. 2).
 
Literatur
 
Monografien
- Keil, Wolfgang: Basics Rechtsmedizin. München 2009.
- Madea, Burkhard: Basiswissen Rechtsmedizin. Hrsg. v. Dettmeyer, Reinhard. Heidelberg 2007.
- Mallach, Hans Joachim: Geschichte der gerichtlichen Medizin im deutschsprachigen Raum. Lübeck 1996.
- Wirth, Ingo/ Schmeling, Andreas: Rechtsmedizin. Grundwissen für die Ermittlungs-praxis. Heidelberg 2012.
Internet
- Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin: „Entwicklung der Rechtsmedizin“, abrufbar unter: http://www.selfmedia.de/usr_web287_3

Nasser Ouahid
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