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Gemeingefährliche Straftaten
 
1. Der Begriff der Gemeingefahr
Gemeingefährliche Straftaten werden im 28. Abschnitt des Strafgesetzbuches (folgend: StGB) geregelt und umfassen sehr unterschiedliche Delikte. Den Großteil bilden Brandstiftungsdelikte (§§ 306 bis 306 f) und Straftaten gegen die Sicherheit des Personen-und Güterverkehrs (§§ 315 bis 316 a StGB z.B. Trunkenheitsfahrten oder den Eingriff in den Flugverkehr mittels Laserpointern). Es werden aber auch besonders gefährliche Delikte wie beispielsweise Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 StGB), gemeingefährliche Vergiftung (§ 313 StGB, z.B. bei Vergiftungen von Lebensmitteln eines Nahrungsmittelkonzerns) und Baugefährdung (§ 319 StGB z.B. Verursachen des Einsturzes eines Hauses durch Weglassen wichtiger Materialien bei dem Bau) unter gemeingefährlichen Delikten geführt.
 
Die Gemeingefährlichkeit dieser Delikte geht nicht aus einer Gefährdung eines gemeinsamen Rechtsguts hervor. Sie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass durch diese Taten eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben einer unbestimmten Anzahl von Menschen oder einer Vielzahl fremder Sachen von bedeutendem Wert entsteht. Durch den Begriff der „unbestimmten Anzahl“ wird deutlich, dass die gefährdete Personengruppe nicht zu klein sein darf, wobei der Gesetzgeber keine konkrete Mindestanzahl festgelegt hat. (Vgl. Wolff, 2002: Zur Gemeingefährlichkeit der Brandstiftung nach § 306 StGB in JR Heft 3/2002, Celle, S. 96) Oft hängt die besondere Gefährlichkeit dieser Tatbestände mit dem Außerkraftsetzen der Natur oder der fehlenden Kontrolle über die Technik zusammen. Dies führt zu einer unkalkulierbaren Gefahr, auf die der Täter wenig Einfluss hat. Bei der Sachgefahr hängt der bedeutende Wert vom Verkehrswert des Gegenstands ab. Eine Grenze wird dabei im Gesetz nicht ge-nannt. Die Rechtsprechung geht seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2008 ab einem Verkehrswert von 750 Euro von einem bedeutenden Wert aus (BGHSt 48, 14, 23).
 
2. Aufbau des 28. Abschnitts
Der 28. Abschnitt des StGB wurde am 26.01.1998 durch das sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) mit dem Ziel, einen einheitlichen Abschnitt unter Berücksichtigung der technischen Veränderungen zu realisieren, erneuert. Auf Grund der Undurchsichtigkeit des 28. Abschnitts und der Vielfältigkeit der Delikte konnte das o.g. Ziel nicht hinreichend erfüllt werden.
Für viele Kritiker besteht das Problem der Höhe des Strafmaßes. Denn schon die einfache vorsätzliche Brandstiftung stellt auf Grund der Zuordnung zu gemeingefährlichen Straftaten ein Verbrechen dar und ist somit mit einem Mindeststrafmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe normiert. Streitpunkt ist dabei, ob die Brandstiftung nach § 306 StGB in seiner Gesamtheit überhaupt ein gemeingefährliches Delikt darstellt. Einerseits befindet sich die Brandstiftung unter der Überschrift „gemeingefährliche Straftaten“, womit der Gesetzgeber sein gesetzgeberisches Motiv verdeutlicht, so dass auch hier von einer gemeinen Gefahr ausgegangen werden muss. Andererseits umfasst § 306 StGB auch Tatobjekte (z.B. Hütten, Kraftfahrzeuge), bei deren Inbrandsetzung nicht generell von einer Gemeingefahr auszugehen ist. Bei diesen Delikten hängt der Gefahrengrad viel mehr mit der örtlichen Nähe zum Tatobjekt zu-sammen. Eine generelle Gemeingefahr wird nicht gesehen. (Vgl. 2002: Wolff, Zur Gemeinge-fährlichkeit der Brandstiftung nach § 306 StGB, Celle, S. 96) Bezogen auf den geforderten Gefahrengrad werden im 28. Abschnitt konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte unterschieden. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn der Schadenseintritt im Einzelfall nach allgemeinem Erfahrungswissen bei ungehindertem Verlauf nur noch vom Zufall abhängt. Beispielsweise erfordert § 315 c Abs. 1 S. 1 StGB eine konkrete Gefährdung für Leib oder Leben einer anderen Person oder Sachen von bedeutendem Wert, die auf den Konsum alkoholischer Getränke zurückzuführen ist. Abstrakte Gefährdungsdelikte erfordern keine Gefahr im Einzelfall, sondern weisen ein grundlegendes Gefahrenpotential auf und sind deswegen der Sache nach verboten. Es reicht aus, dass diese Delikte erfahrungsgemäß zu einer solchen Gefahr führen. Teilweise wird diese mit der Eignung zur Herbeiführung einer Gefahrensituation umschrieben. Dies ist beispielsweise bei § 316 StGB der Fall. Der Gesetzgeber verbietet grundsätzlich das Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss im Zustand der Fahruntüchtigkeit, da die möglichen Konsequenzen dieses Verhaltens unkalkulierbar sind. Eine konkrete Gefahr im Einzelfall ist nicht erforderlich. (Vgl. Haft, F. 2005: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, München, S. 218 f.) Der Gesetzgeber hat im 28. Abschnitt keine einheitliche Struktur der Tatbestandsvoraussetzungen gewählt. Er hat drei verschiedene Varianten gewählt: Auffällig ist, dass die Gemeingefahr lediglich in § 323c StGB als konkretes Tatbestandsmerkmal gefordert wird. (1. Variante).
Bei der 2. Variante wird die Gemeingefahr nicht als solche genannt, sondern mit anderen Begrifflichkeiten umschrieben. Beispielsweise wird der Eintritt einer Gesundheitsschädigung einer Person oder einer unbestimmten Anzahl von Menschen (z.B. § 306 b (1) StGB) vorausgesetzt. In der dritten Variante wird die Verursachung einer „konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert“ (z.B. § 307 (1,2) StGB) gefordert. Bei dieser Tatbestandsvoraussetzung sind eine potentielle Gemeingefährlichkeit und der Eintritt lediglich einer konkreten Gefahr für einzelne Menschen und damit die Handlungstendenz zur gemeinen Gefahr ausreichend. Der Eintritt einer konkreten gemeinen Gefahr ist nicht erforderlich. Bei den beispielhaft genannten Delikten handelt es sich ausschließlich um schwerwiegende Delikte. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten lediglich eine Person gefährdet ist sehr gering, da die Folgen unkalkulierbar und nicht kontrollierbar sind. Die gemeinsame Überschrift „gemeingefährliche Straftaten“ stellt jedoch das gesetzgeberische Motiv für die Normierung in diesem Abschnitt des StGB dar.
 
3. Gemeingefährliche Straftaten in der PKS
In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die gemeingefährlichen Straftaten nicht als einheitliche Deliktsgruppe ausgewiesen. Straßenverkehrsdelikte finden generell keinen Eingang in die PKS. Diese werden lediglich in der Strafverfolgungsstatistik aufgenommen, stellen aber grundsätzlich im Hinblick auf die Deliktszahlen eine große Gruppe der Gesamtstraftaten dar. Brandstiftungsdelikte sind die einzigen, die in der PKS geführt werden. Seit der Änderung im 6. StrRG 1998 liegen die erfassten vorsätzlichen Brandstiftungsdelikte zwischen 12000 und 15000 Delikten pro Jahr. Fahrlässige Brandstiftungsdelikte lagen in diesem Zeitraum zwischen 9000 und 15000 erfassten Delikten. Die Aufklärungsquote bei den gesamten Brandstiftungsdelikten liegt bei ca. 50%, wobei diese bei fahrlässigen Brandstiftungsdelikten 2009 mit 70,6 % weitaus höher liegt als bei vorsätzlichen (34,5 %). Bei fahrlässigen Delikten ist der Ermittlungsaufwand meist geringer, da die Bereitschaft des Täters sich zu stellen in der Regel höher ist. Der Versuchsanteil liegt bei den vorsätzlichen Brandstiftungsdelikten ca. bei 10 %. Bezogen auf die Tatverdächtigen gibt es bei Brandstiftungsdelikten eine Besonderheit. Der Anteil der tatverdächtigen Kinder ist herausragend hoch. Bei den ermittelten Tatverdächtigen eines Brandstiftungsdelikts ist jeder sechste ermittelte Tatverdächtige ein Kind. (Vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik 2009 – Jahrbuch, Bundeskriminalamt Wiesbaden, Kriminalistisches Institut, Fachbereich KI 12, S. 205 ff.)
 
Schlüsselwörter: Brandstiftungsdelikte, Verkehrsdelikte, abstrakte Gefahr, konkrete Gefahr, sechstes Gesetz zur Reform des Strafrechts (6.StrRG)
 
Literatur:
 
-Hettinger, Michael/Wessels-Hettinger/Wessels, Johannes, Strafrecht, Besonderer Teil/1: Straftaten gegen Persönlichkeits-und Gemeinschaftswerte, 31. Aufl., Heidelberg 2007 (= Schwerpunkte8/1).
-Kindhäuser, Urs; Neumann, Ulfrid; Paeffgen, Hans-Ullrich; Albrecht, Hans-Jörg; Kindhäuser-Neumann-Paeffgen (2005): Strafgesetzbuch. 2. Aufl. Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges. (Nomos-Kommentar).
-Krey, Volker/Danners, Eric, Besonderer Teil ohne Vermögensdelikte, 11., völlig neubearb. Aufl. /, Stuttgart 1998 (= Kohlhammer Studienbücher Rechtswissenschaft: Studienbuch in systematisch-induktiver Darstellung / von Volker Krey ; Bd. 1).
 

Laura Kappel
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