Konformität Konformität (lat. Conformis "gleichförmig, ähnlich") bezeichnet allgemein die Haltung, die durch die Anpassung an die herrschenden Meinungen und geltenden Regeln der sozialen Umwelt gekennzeichnet ist.
Nach dem Grad der Akzeptanz unterscheidet man zwischen Anpassung- und Einstellungskonformität. Hier geht es darum, ob das Individuum aus Anpassungsgründen zustimmt oder den Sachverhalt tatsächlich aus Überzeugung akzeptiert. Man spricht hier auch von äußerlich gezeigter im Gegensatz zu verinnerlichter Konformität.
Besteht keine Überzeugung gegenüber der geforderten
Normen kann ein Widerspruch zwischen gezeigtem Verhalten und innerer Einstellung bzw. Gefühlen und Gedanken entstehen und separate Lebenswelten entstehen lassen, wie dies z.B. in den sozialistischen Systemen des ehemaligen Ostblocks vorzufinden war.
Äußerlich gezeigte Konformität lässt sich in Anpassung und Gehorsam unterscheiden. Während bei der Anpassung die Übernahme sozialer Regeln ohne ausdrückliche Weisung Dritter erfolgt, wird sich beim Gehorsam einem konkreten Druck gebeugt. Allerdings sind die Grenzen zwischen Anpassung und Gehorsam fließend und von der Stärke des sozialen Einflusses abhängig.
In sozialpsychologischen Experimenten wurde versucht, diesen Einfluss durch Konformitätsprozesse sichtbar zu machen.
Am bekanntesten wurden die grundlegenden Experimente von Ash und Milgram, die in der Folgezeit immer wieder in unterschiedlichen Variationen durchgeführt wurden.
Bei Ash wurde das Abschätzen zweier gleichlanger Linien durch simuliertes Mehrheits- bzw. Gruppenverhalten so beeinflusst, dass unabhängig von objektiven Tatsachen eine Anpassung an die Mehrheitsmeinung erfolgte.
Milgram wiederum testete die Bereitschaft, wie weit durchschnittliche Personen autoritären Anweisungen durch Gehorsam auch dann Folge leisten, wenn dies in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Dazu ließ er Versuchspersonen Bestrafungen durch immer stärker werdende Elektroschocks an anderen Personen durchführen.
Sowohl die Konformitätsexperimente von Ash als auch Milgrams Gehorsamsuntersuchungen weisen darauf hin, dass viele Menschen dem Druck des sozialen Einflusses nachgeben und Verhaltensweisen zeigen, die sie als Individuum nicht gezeigt hätten.
Eine entscheidende Korrekturgröße scheint allerdings das Aufbrechen der Einstimmigkeit des sozialen Einflusses zu sein.
Fischer/ Wiswede unterscheiden in diesem Zusammenhang drei Bedingungsvariablen (Objekt, Subjekt, Quelle), die Konformität beeinflussen.
Zunächst sind Merkmale des Konformitätsobjektes von Bedeutung, also die Frage: um was geht es eigentlich? So verhalten sich Menschen oft konform, wenn ihnen der Einblick bzw. die Kenntnis oder Erfahrung in eine bestimmte Situation fehlt. Kognitive Theorien belegen, dass man zunächst nach Informationen sucht, die einem die Situation erklären. Dazu gehört auch zu beobachten, wie andere sich verhalten und entsprechende Vergleiche anzustellen. Ob nun ein autonomes oder ein konformes Verhalten gezeigt wird, hängt in beträchtlichem Maße von der Art der sozialen Situation und der Bedeutsamkeit des Themas ab. Dabei unterliegen unsichere Bewertungen einen höherem Konformitätseffekt als verfestigte
Einstellungen.
Bei der Betrachtung des Konformitätssubjekt stehen interaktionistische Überlegungen im Vordergrund. Mead oder Goffmann weisen darauf hin, dass der Mensch sich in sozialen Rollen bewegt. Diese sozialen Rollen werden definiert aus den Erwartungen der Anderen. Aus dem Bedürfnis, von anderen akzeptiert und angenommen zu werden, sowie zur Vermeidung von Konflikten, passt man sich den sozialen
Normen bzw. den Verhaltensregeln einer Gruppe an. Diese
Normen können dabei sowohl schriftlich niedergelegt (z.B. Gesetze), als auch implizit sein.
Fischer/Wiswede weisen hier auf einen Zusammenhang zwischen einem schwach entwickelten, möglicherweise negativen Selbstbild und Konformitätsneigung hin. Auch die Suche nach sozialer Unterstützung durch andere Personen (Affiliation) steigert die Konformitätsneigung.
Personen von hohem sozialen Rang und die Außenseiter können es sich dabei erlauben, in nennenswerten Umfang vom Gruppenstandard abzuweichen. Dies bedeutet, dass der Konformitätsdruck nur die Mitte der Gesellschaft erreicht und dieser Druck zur Verhinderung abweichenden Verhaltens der Oberschicht (White Collar Kriminalität) und Unterschicht nicht ausreichend ist. Dies ließe sich z.B. durch das Prinzip der Kosten-Nutzen-Analyse (rational choise) veranschaulichen. Personen mit niedrigen Status haben wenig zu verlieren, konformes Verhalten als Mittel des Aufstieg ist nicht sehr lohnend. Personen mit hohen Status gewinnen nicht mehr viel durch konformes Verhalten, ihr Status ist gefestigt. Dadurch können sie sich ein gewisses Maß an Abweichung leisten (Idiosynkrasiekredit). Was bei dieser rein ökonomischen Betrachtungsweise allerdings vernachlässigt wird, sind die Einflüsse vergangener
Sozialisationsinstanzen wie z.B.
Familie, sowie die Erklärbarkeit von Affektverbrechen.
Als letzte Bedingungsvariable ist die Konformitätsquelle zu nennen. Konformität ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern hängt mit dem Status in der jeweiligen Gruppe und dem Gruppendruck zusammen. Hoher Gruppendruck erhöht die Konformität ebenso wie ein mittlerer Status in der Gruppe. Dem gegenüber entsteht Gruppensog, der umso stärker wird, je attraktiver die Zugehörigkeit zur Gruppe erscheint. Bereits die Befürchtung einer Sanktion durch die Gruppe (z.B. durch Bestrafung) genügt um konformes Handeln auszulösen. Wird die Gruppennorm zur sozial verbindlichen Norm, dann wird abweichendes Verhalten auch formell sanktioniert. Auf diesem Prinzip baut auch die negative Generalprävention der relativen
Straftheorien auf. Obwohl kritisch betrachtet werden muss, ob
Strafe allein seinen Abschreckungszweck erfüllt, wird Konformität grundsätzlich zur Voraussetzung für das Funktionieren eines politischen Systems.
Unsere Industriegesellschaft ist aufgrund von Modernisierungstendenzen durch einen Konflikt zwischen Individualitäts- und Konformitätsdruck geprägt: Einerseits sind ihre Mitglieder gehalten, sich von der Masse abzuheben und als unverwechselbares Individuum gegen sie aufzutreten. Diese Individualisierung eröffnet hohe Freiheitsgrade zur Gestaltung des alltäglichen Lebens, verlangt aber auch die Kompetenz sich mit den vielfältigen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Integrationsprozesses auseinander zu setzen. Andererseits aber erleben sie Sanktionen, wenn sie sich zu weit von gemeinsamen
Einstellungen und Meinungen entfernen, die sich die Gruppe zuschreibt, zu der sie gehören.
Gerade Jugendlichen können durch diesen Konflikt eine erhebliche Orientierungslosigkeit erleben. Sie setzen sich in ihrer Phase der Persönlichkeitsfindung in kritischer und selbstkritischer Reflexion sowohl mit den gesellschaftlichen Angeboten und Anforderungen, als auch mit der eigenen Kompetenz zu deren Aneignung und Bewältigung auseinander. Die Reaktion kann sowohl Anpassung und Duldung, als auch Verweigerung und Protest zur Folge haben und in delinquenten Handlungen (Jugendkriminalität) ihren Ausdruck finden.
Während früher Konformität in der Kriminologie wenig Beachtung geschenkt wurde, da dies als Normalverhalten betrachtet wurde, geht die neuere Diskussion aufgrund von Ergebnissen aus der
Dunkelfeldforschung von einer Normalität der Kriminalität aus, die sich durch alle Schichten und Altersstrukturen zieht.
In der Vergangenheit bezogen sich somit auch die meisten der Kriminalitätstheorien lediglich auf die Erklärung abweichenden Verhaltens, ihr Erklärungswert für Konformität ist relativ umstritten.
Ansätze mit denen sich sowohl konforme, als auch deviante Verhaltenweisen erfassen lassen, sind in erster Linie die lerntheoretischen Erklärungsmodelle, sowie die
Anomietheorie. Dem gegenüber gehen die Kontrolltheorien grundsätzlich davon aus, dass Devianz selbstverständlich ist und Konformität erklärt werden muss.
Während Devianztheorien Kriminalität positiv z.B. als Produkt eines Lernprozesses bestimmen, stellen Kontrolltheorien Kriminalität negativ aus dem Fehlen kontrollierter Einflussnahme dar, die dem Individuum die Freiheit zur Abweichen lässt.
So gibt es z.B. nach der sozialen Bindungstheorie von Hirschi vier Variablen, die je nach delinquentem oder nicht-delinquentem Verhalten vorliegen. Dabei verstärken sich diese vier Elemente gegenseitig; geringe soziale Bindung bedeutet, dass alle Elemente beeinträchtigt sind. Als Elemente benennt Hirschi: die Bindung (attachment) an wichtige Bezugspersonen (z.B. Eltern), die Einbindung (involvement) in gesellschaftliche Gruppen und Prozesse, die Überzeugungen (beliefs) in die bestehenden Wert- und Normvorstellungen und schließlich die Verpflichtung/Investition (commitment) als rationale Einschätzung der Kosten-Nutzen Analyse. Menschen unterscheiden sich darin, wie viel sie durch konformes Verhalten bereits investiert haben bzw. wie viel von ihrer Investition sie durch delinquentes Verhalten verlieren könnten. Kontrolltheorien setzen auf die verhaltensstabilisierende Kraft des Zusammenspiels von Selbst- und Fremdkontrolle, vernachlässigen dabei allerdings bei ihrer Erklärung konformen Verhaltens intersubjektive Bedeutung von Bindungen.
Es darf nicht außer acht gelassen werden, dass sich Konformität und Devianz im gesellschaftlichen
Normensystem bedingen und das eine ohne das andere nicht definierbar wäre. Ob ein Verhalten als konform oder abweichend betrachtet wird, ist letztendlich eine Frage der spezifischen sozialen Rolle in der sich das Individuum bewegt bzw. vermittelt bekommt und der jeweiligen Konstruktion von Gesellschaft.
Und gerade deshalb bleiben aufgrund der heterogenen Vielfalt des Spektrums sozialer Verhaltensweisen sowohl konforme als auch deviante Erklärungsversuche sehr ungenau.
Schlüsselbegriffe: Gruppendruck, Anpassung, Gehorsam, Kontrolltheorien, Konformitätsexperimente
Literatur:
- Fischer, L; Wiswede, G. 2002: Grundlagen der Sozialpsychologie. 2. überarb. und erw. Aufl. Oldenbourg
- Kunz, K-L. 2004: Kriminologie. 4., völlig überarb. und akt. Aufl. Haupt Verlag, Bern, Stuttgart, Wien
- Mann, L. 2001: Sozialpsychologie. Beltz Verlag, Weinheim, Basel
- Sader, M. 2002: Psychologie der Gruppe. 8. Aufl. Juventa Verlag, Weinheim, München
Ralf Quinten