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Kriminalität der Mächtigen (s. Regierungskriminalität)
 
Vor dem Hintergrund sogenannter "Affären" (Lockhead, Watergate, Flick, Barschel, U-Boot-Skandal etc.) und "Skandale" (Atommüll-Skandal um die Hanauer Nuklearbetriebe, Giftgasfabrik Rabta, Libyen) verliert die traditionelle Betrachtungsweise der Kriminologie, Kriminalität als ein Unterschichtsphänomen zu begreifen, ihre Grundlagen.
Ebenso fallen die zur Kriminalitätserklärung herangezogenen klassischen Theorien in sich zusammen.
Nach Pfeiffer/Scheerer (1979) zeichnet sich die Kriminalität der Mächtigen durch folgende Charakteristika aus:

(1) Begehungsweise: Arbeitsteilig, unter Nutzung und Umgestaltung bestehender und Schaffung neuer Organisationen;
(2) Schadenshöhe: Die der klassischen und organisierten Kriminalität weit übertreffend;
(3) Systemfunktion: Ausbau der Verteidigung bestehender sozialer Ungleichheit;
(4) Sanktionsimmunität: Kein lückenloser, aber auf allen Ebenen wirksamer Schutz vor der Strafgesetzgebung bis zur Vollzugserleichterung und mangelnden informellen Sanktionen;
(5) Analyse: Zusätzlicher Schutz durch ein Syndrom wohlwollender Vernachlässigung in Wissenschaft, öffentlicher Meinung und Strafrechtspflege.
Die mit dem Begriff gemeinten "Mächtigen" sind angesehene Inhaber politischer und sozialer Positionen mit großer Möglichkeit, die eigenen Interessen durchzusetzen. Soweit sie diese Position ausnützen, um mittels Straftaten ihre Privilegien zu schützen oder auszubauen, spricht man von der Kriminalität der Mächtigen; andere Formen der von ihnen verübten oder veranlaßten Straftaten wären demgemäß, sofern es nicht um den persönlichen Privatbereich geht, beispiels-weise der *Umweltkriminalität oder der *Wirtschaftskriminalität zuzuordnen.
In der Regel halten sich die Mächtigen, mit großer Beschwerdemacht ausgestattet, als Anstifter, Auftraggeber oder oberste Autorität im Hintergrund und überlassen anderen die Ausführung. Hess (1976) setzt synonym dafür den Begriff des repressiven Verbrechens. Die Akteure sind sowohl im staatlichen und parastaatlichen Bereich zu finden als auch im nichtstaatlichen Bereich.
Zur Kriminalität im staatlichen und parastaatlichen Bereich rechnet man z. B. den politischen Mord im Auftrag von Regierungen und ihren Organisationen (nationalsozialistische Gewalttaten, "Operationen" von Geheimdiensten), Wahlbetrug, Folterungen, Freiheitsberaubungen, illegale Vernehmungsmetho-den, illegalen Schußwaffengebrauch im Zusammenhang mit Personen. Soweit es sich um mögliche Kriminalität der Polizei handelt, haben sich Bürgerinitiativen ("Bürger beobachten die Polizei") gebildet, die ein Versagen der gesetzlichen Kontrolle des Polizeiapparates in der Bundesrepublik sehen und deshalb eine nichtstaatliche Kontrolle ausüben wollen (*Korruption in der Polizei).

Zur Kriminalität im nichtstaatlichen Bereich zählen vielfältige Formen der Wirtschaftskriminalität (Korruption, Kartell- und Preisabsprachen), aber auch die Camorra und die *Mafia sowie andere Formen des organisierten Verbrechens (*Organisierte Kriminalität).
Kriminologisch fehlt es bisher an einer Systematisierung dieses Bereiches und an einer Eingliederung in eine Gesamtschau der Kriminologie.

Literatur:
- Hess, H.: Repressives Verbrechen. Kriminologisches Journal 1976, 1-22.
- Pfeiffer, D.K.; Scheerer, S.: Kriminalsoziologie. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979.
- Scheerer, S.: Kriminalität der Mächtigen. In: Kaiser, G. u. a. (Hrsg.): Kleines Kriminologisches Wörterbuch. Heidelberg 1985.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Frank Hofmann
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