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Methoden der Kriminalprognose
 
Die Kriminalprognose definiert sich als eine Wahrscheinlichkeitsaussage über zukünftiges Legalverhalten. Das Erfordernis einer Prognosestellung ergibt sich aus dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die Grundrechte der Bürger, welcher aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird. Jene Bürger dürfen demnach lediglich insoweit belastet werden, als es die Grundrechtsfreiheit gestattet. Desweiteren stellt die Kriminalprognose die Festlegung des Gesetzgebers auf ein individualisiertes, spezialpräventiv ausgerichtetes Sanktionssystem dar. Jede Sanktion muss dahingehend individualisierend überprüft werden, ob sie im jeweiligen Fall eine Verhinderung weiterer Straftaten begünstigt. Dementsprechend ergeben sich im Rechtssystem vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für die Kriminalprognose. Dies sind im Wesentlichen die Urteilsprognose, die Vollzugsprognose und die Entlassungsprognose. Die Urteilsprognose dient als Instrument des Gerichts, um bereits im Zeitpunkt des Urteils eine Aussage über das künftige wahrscheinliche Legalverhalten des Täters aufzuzeigen. Ausdruck findet dies beispielsweise im StGB in den §§ 46 I 2 oder 47 I, im JGG beispielsweise in den §§ 5 II, 10, 13 I oder 17 II. Die Vollzugsprognose ermöglicht eine entsprechende Aussage über das Verhalten im Vollzug in Form von Flucht- und Missbrauchsprognosen. Angewendet werden diese zum Beispiel bei Entscheidungen über die Gewährung von Lockerungen im Strafvollzug gemäß § 11 II StVollzG. Die Entlassungsprognose wird nach der Verbüßung oder Teilverbüßung einer Sanktion angewandt und gibt Auskunft über das wahrscheinliche Legalverhalten in Freiheit. Gesetzlich normiert ist dies zum Beispiel bei der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung in den §§ 57, 57a StGB und 88 I JGG, aber auch bei der Aussetzung der stationären Maßnahme der Besserung und Sicherung zur Bewährung gemäß § 67d II StGB. Die Anzahl der verschiedenen Prognosemöglichkeiten mit deren Unterarten ist mittlerweile schwer überschaubar geworden. Daher sollen hier lediglich die allgemeinen Hauptarten der Prognosemethoden dargestellt werden, wobei exemplarisch eine neuere Entwicklung detaillierter betrachtet werden soll.
 
Es gibt drei allgemeine Hauptarten der Prognosemethoden. Namentlich sind dies die intuitive, die statistische und die klinische Methode.
 
Die intuitive Prognosemöglichkeit bezeichnet eine subjektive gefühlsmäßige Einschätzung des Beurteilers, die durch Menschenkenntnis und Berufserfahrung geprägt ist. Jene Methode erfährt die häufigste Anwendung durch Richter und Staatsanwälte. Diese schätzen eine Person aufgrund persönlicher und beruflicher Erfahrungen auf einer eher gemischt rational-emotionalen Ebene ein. Die Beliebtheit dieser Methode gründet sich auf eine eklatante Kostengünstigkeit und Zeitersparnis. Desweiteren machen sich die beteiligten Personen oftmals verschiedenartige Prognosekriterien der statistischen und klinischen Methoden, auf die später eingegangen wird, intuitiv zu nutze. Merkmale dieser Art sind im Wesentlichen die strafrechtliche Vorbelastung des Täters, das Arbeitsverhalten, die sozialen Bindungen, die Sozialisationsbiografie, aber auch Hinweise auf eine Suchtproblematik. Allerdings dürfen hierbei die Nachteile dieser Methode nicht außer Acht gelassen werden. Jene manifestieren sich in einer Abstinenz von objektivierbaren Beurteilungskriterien und einer systematischen Erkenntnisgewinnung. Berücksichtigung werden muss hierbei ebenfalls der emotionale Aspekt. Diesbezüglich können neben rationalen Kriterien auch so genannte Alltagstheorien oder die eigene Werthierarchie des jeweiligen Beurteilers ausschlaggebend sein. Dementsprechend leidet die intuitive Einverleibung von oben genannten Prognosemerkmalen an der Gefahr bestimmte Punkte nicht entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung, sondern aufgrund von persönlicher Erfahrung, zu gewichten. Dieses Vorgehen gründet darüber hinaus nicht auf tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
 
Die klinische oder auch empirische Individualprognose ist speziell geschultem Personal in Gestalt von Psychiatern oder Psychologen mit besonderer kriminologischer Erfahrung vorbehalten. Der Anwendungsbereich dieser Art der Prognosestellung ist generell gesetzlich festgelegt, zum Beispiel in den Fällen der §§ 80a, 246a oder 414 III StPO. Die Bestellung obiger Sachverständiger sowie die Zugrundelegung der klinischen Prognosemethoden obliegen dem Gericht lediglich bei schweren Straftaten und erheblichen Zweifeln an der Feststellungsfähigkeit, der in den in Frage kommenden Vorschriften bezeichneten Maßnahmen. Dies ist der Fall, soweit das Gericht trotz zumutbarer Anstrengungen, kraft eigener Sachkunde und mit Unterstützung der Gerichtshilfe nicht zu einer sachgerechten Prognose kommen kann. Hierbei ist ferner zu beachten, dass die klinische Prognose, wie jedes Gutachten, nur ein Hilfsmittel bei der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann. Die Durchführung jener Prognose seitens des speziell geschulten Personals untergliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt wird versucht die Täterpersönlichkeit anhand verschiedener Methoden zu erforschen. Diese können kumulativ oder einzeln eingesetzt werden, je nachdem was der Einzelfall erfordert. Namentlich können dies psychodiagnostische Testverfahren, Explorationen des Probanden und diesbezüglich die Untersuchung des Lebenslaufs, der Familienverhältnisse, des Arbeits- und Freizeitverhaltens, als auch die bisherige Delinquenz sein. Möglich ist hierbei ebenso eine neurologisch-psychiatrische Vorgehensweise in Form von Gehirnstrommessungen beziehungsweise anderen klinischen Hilfsuntersuchungen. Im zweiten Abschnitt erfolgt die abschließende prognostische Gewichtung der festgestellten Tatsachen. Dabei kommt es maßgeblich auf die verstehende Erfassung und Beurteilung der Täterpersönlichkeit an. Dieser, mit weit reichenden Interpretationsmöglichkeiten versehene Terminus, wird dahingehend eingeschränkt, dass von Psychologen und Psychiatern differenzierte und objektivierte Kriterienkataloge vorgelegt wurden, die eine Einordnung des Täters vereinfachen und vereinheitlichen sollen. Positiv bezüglich jener Art der Prognosemöglichkeit ist festzuhalten, dass sie durch die spezielle Ausbildung des Personals und aufgrund der besonderen Hilfsmittel grundsätzlich eine differenzierte Analyse darstellt. Zudem können vergangene und aktuelle Lebenskrisen bei der Beurteilung Berücksichtigung finden. Auch können besondere Lebensumstände zum Beispiel in Form von Reifungsprozessen in Abhängigkeit zu anderen Faktoren gewichtet werden. Neben diesen positiven Aspekten sind jedoch auch negative anzuführen. Die Untersuchungen sind stark vom beurteilenden Psychologen oder Psychiater abhängig, woraus sich keine vollständige Objektivierbarkeit ergeben kann. In diesem Fall erfolgt zwar eine Abschwächung durch die spezielle Ausbildung und die an die Hand gegebenen Hilfsmittel, welche jedoch das grundsätzliche Problem mangelnder Objektivierbarkeit nicht beseitigen kann. Bezüglich der Kriterienkataloge als Hilfsmittel ist kritisch anzumerken, dass diese lediglich anhand von kriminologischen Sonder- und Extremgruppen gebildet wurden. Für die Beurteilung von Alltagskriminalität bieten diese oft nur ungenaue Vorhersagen, deren Verwertbarkeit und Verlässlichkeit eingeschränkt sind. Im Gegensatz zu der intuitiven Prognosestellung ist die klinische mit hohen Kosten und einem erheblichen Zeitaufwand verbunden, was teilweise zu nicht ganz unerheblichen Verfahrensverlängerungen führt. Ein weiteres grundsätzliches Problem soll aufgrund seiner engen Beziehung zur klinischen Prognosestellung hier angesprochen werden, wobei es auch für alle anderen Arten der Prognose von Bedeutung sein kann. Jenes wird als „false positives“ (Überschätzung des Kriminalitätsrisikos) bezeichnet. Hierbei geht es um Menschen, die aufgrund einer ungünstigen Prognose überhaupt oder zu lange verwahrt werden und im Gegensatz zu denen mit günstiger Prognose niemals oder über längere Zeit nicht die Chance haben, die Falschheit dieser Vorhersage zu beweisen. Als besonders gravierendes Beispiel soll hier kurz auf den so genannten Baxstrom-Fall aus dem Jahre 1966 eingegangen werden. In diesem Fall wurde gerichtlich festgestellt, dass Jonnie Baxstrom zu Unrecht in einer Anstalt für psychisch kranke Rechtsbrecher verwahrt wurde. In Folge dessen war man gezwungen aus verfahrensrechtlichen Gründen 967 Männer und Frauen, die die angeblich gefährlichsten psychiatrischen Patienten des Staates New Yorks darstellten, freizulassen. Als Ergebnis dieses ungewollten Experiments ließ sich feststellen, dass die Rückfallquote jener Freigelassenen äußerst gering war. Dies warf die Frage auf, inwieweit man die Personen ungerechtfertigterweise in jene Anstalten einwies, beziehungsweise inwieweit die Prognosemöglichkeiten versagt hatten. Folgern lässt sich hieraus die Notwendigkeit einer besonderen Beachtung einer eventuell nicht gerechtfertigten Überschätzung des Kriminalitätsrisikos aufgrund negativer Legalprognosen. Die dritte Hauptart der verschiedenen Methoden stellt die statistische Prognose dar. Diese bezeichnet sich als Wahrscheinlichkeitsaussage aufgrund der Häufigkeit bestimmter beim Täter vorliegender Merkmale. Jene hat ebenfalls verschiedene Ausprägungen erfahren, wobei hier nur auf die grundlegenden Ausprägungen eingegangen wird. Als Basis werden bei allen in Frage kommenden Varianten ohne Berücksichtigung von „Gutpunkten“ so genannte „Schlechtpunkte“ verteilt und addiert. Diese „Schlechtpunkte“ bezeichnen jeweils die in den verschiedenen statistischen Prognosevarianten festgelegten negativen Merkmale in der Lebensführung sowie im Verhalten des jeweiligen Probanden. Hierbei lassen sich drei Varianten unterscheiden. Beim einfachen Punktverfahren erhält jedes Merkmal einen Punkt, ohne besondere Gewichtung. Beispielhaft hierfür ist die Prognosetafel von Meyer von 1965, die für eine Urteilsprognose 19, für eine Entlassungsprognose 21 Merkmale aufführt. Die Rückfallwahrscheinlichkeit richtet sich nach der Anzahl der vorliegenden negativen Merkmale. Für die Urteilsprognose sind dies für 0 bis 2 Merkmale 22% Rückfallwahrscheinlichkeit, für 3 bis 6 Merkmale 58% und für 7 und mehr Merkmale 100%. Das Verfahren wurde in Deutschland bezüglich der Verhängung der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer gemäß § 19 JGG noch bis zu deren Abschaffung 1990 angewandt. Die zweite Variante ist das Punktwertverfahren. Gewichtet werden in diesem die betreffenden Merkmale nach Stärke ihrer Korrelation mit deren Rückfallwahrscheinlichkeit. Hinsichtlich der hierunter fallenden Ausprägungen wird im Folgenden auf zwei Verfahren eingegangen. Das Ehepaar Glück legte Prozentzahlen der Straffälligen für jedes Merkmal zugrunde. Diese ergaben sich beispielsweise aus Prognosetafeln im Hinblick auf das Verhalten der Eltern, das Verhalten des Probanden in der Schule oder einen stattfindenden Drogenkonsum. Mannheim und Wilkens hingegen zogen umgerechnete Korrelationskoeffizienten heran und verwendeten einen statistischen Zusammenhang zwischen biografischen Merkmalen und der Rückfallwahrscheinlichkeit. Die dritte Variante stellen die Strukturprognosetafeln dar. In diesen erfolgt zusätzlich zur Gewichtung der einzelnen Merkmale, eine Berücksichtigung der Abhängigkeit der einzelnen Merkmale untereinander. Durch jenes Verfahren entstehen verschiedene typenartige Merkmalskombinationen mit einer jeweils unterschiedlichen Rückfallwahrscheinlichkeit. Der Vorteil der statistischen Möglichkeit der Prognosestellung liegt in dem hohen Grad an Reliabilität. Auch bei wiederholter Anwendung bleiben die Ergebnisse gleich. Problematisch ist allerdings die Validität und somit die Frage, ob statistisch prognostische Verfahren die Kriminalität wirklich richtig vorhersagen können. Für Extremgruppen kann dies durchaus zutreffen, für die Alltagskriminalität mit einem Anteil von ca. 80% an der Gesamtkriminalität ist dies allerdings schwierig zu beurteilen. Desweiteren erfolgt die Merkmalsfestlegung retrospektiv durch eine Untersuchung bereits straffällig gewordener. Hierbei werden negative Merkmale stets stärker berücksichtigt als bei prospektiv angelegten Untersuchungen, was mithin zu einer Überschätzung des Kriminalitätsrisikos führen kann, wie schon bei der klinischen Prognosemöglichkeit aufgezeigt wurde. Auch erfolgt hier keine individuelle, sondern eine gruppenbezogene Aussage dergestalt, dass der Proband zu einer bestimmten Gruppe bezüglich einer bestimmten Rückfallwahrscheinlichkeit zugerechnet wird. Besondere in der Person liegende Merkmale können daher nur schwerlich berücksichtigt werden. Die Objektivität der Bewertung ist hier ein Problem, da trotz der hohen Reliabilität die Auslegung der Begrifflichkeiten im Sinne der verschiedenen Merkmale dem jeweiligen Prognosesteller überlassen bleibt. Ein weiterer kritischer Punkt bezüglich der retrospektiven Ausrichtung ist, dass aktuelle, möglicherweise positive Entwicklungen im Leben des Probanden nicht mehr berücksichtigt werden können. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass diese Art der Prognosestellung nicht auf die Auswirkungen einer eventuell anstehenden Sanktion Rücksicht nehmen kann.
 
Neben diesen drei Hauptarten der Prognosemöglichkeiten haben sich in neuerer Zeit vielfältige Ansätze und Weiterentwicklungen herausgebildet. Eingegangen wird diesbezüglich hier exemplarisch auf eine in letzter Zeit stark diskutierte Prognosemöglichkeit. Diese bezeichnet sich kurz als MIVEA, was die Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse beschreibt. Sie untergliedert sich grundsätzlich in vier Abschnitte, die sich als Erhebung, Auswertung, kriminologische Beurteilung und Folgerungen überschreiben lassen.
 
Die Erhebungen umfassen alle möglichen Maßnahmen um etwas über das Leben und die Lebensumstände des Probanden in Erfahrung zu bringen. Vor allem sind dies die kriminologische Exploration des Probanden in Form einer Kombination von Befragung und Beobachtung. Desweiteren kommt eine Aktenauswertung zum Tragen. Hier sind zunächst die Strafakten im engeren Sinn zu nennen, welche diejenigen Erkenntnisse beinhalten, die unmittelbar mit den begangenen Straftaten zusammenhängen. Hilfreich können hier auch die Berichte der (Jugend-) Gerichtshilfe, Unterlagen des Jugendamtes, des Bewährungshelfers, als auch die Vollzugsakten sein. Weiterhin kommen Drittbefragungen in Betracht, welche Erhebungen im sozialen Umfeld des Probanden, soweit sie im Rahmen des Datenschutzes zulässig sind, bezeichnen. Die Befragungen können sich auf Angehörige, den Arbeitsplatz oder sonstige Personen, die mit dem Probanden im Zusammenhang stehen, erstrecken. Wichtig ist, dass die Erhebungen insgesamt umfassend sind, jedoch auf bestimmte Merkmale bei der Auswertung besonderer Bezug genommen wird. Endpunkt der Analyse und zeitlicher Bezugspunkt der gesamten kriminologischen Auswertung ist die letzte Straftat, wobei nur das Verhalten in Freiheit maßgebend ist. Eine weitere Untergliederung erfolgt hierbei in drei Abschnitte. Dies sind der Lebenslängsschnitt, der Lebensquerschnitt und die Relevanzbezüge beziehungsweise die Werteorientierung.
 
Der Lebenslängsschnitt wird wiederum in zwei Bereiche unterteilt; das allgemeine Sozialverhalten und den Delinquenzbereich. Innerhalb des allgemeinen Sozialverhaltens wird das Verhalten des Probanden unter verschiedenen Gesichtspunkten in fünf spezielle Bereiche untergliedert. Dies sind die (elterliche) Erziehung im Kindes- und Jugendalter, der Aufenthaltsbereich, der Leistungsbereich mit den Unterpunkten Schule, berufliche Ausbildung und Berufstätigkeit, der Freizeitbereich mit den Punkten Verfügbarkeit der Freizeit und Struktur und Verlauf der Freizeitaktivitäten und der Kontaktbereich mit den Punkten schicksalhaft vorgegebenen Kontakte, selbstgewählte Kontakte zu Freunden und Bekannten, sexuelle Kontakte und die eigene Familie. Von entscheidender Bedeutung ist, dass innerhalb der verschiedenen Bereiche Entwicklungstendenzen und Phasen festgestellt werden. Die Bewertung der verschiedenen Merkmale innerhalb der Bereiche erfolgt anhand der Bildung von Idealtypen. Hierbei steht d-idealtypisch für die Durchschnittspopulation und k-idealtypisch für kriminalitätsförderndes Verhalten. Jene Idealtypen sind aufgrund der Tübinger-Jungtäter-Vergleichsuntersuchung gebildet worden und zeichnen sich dadurch aus, dass sie möglichst abstrahiert extreme positive oder negative Verhaltensweisen darstellen. Ein Verhalten kann daher grundsätzlich keinem Idealtyp direkt entsprechen, weswegen lediglich festgestellt werden kann, ob und inwieweit sich ein Verhalten einem dieser Idealtypen annähert. Im Delinquenzbereich werden die bisherigen deliktischen Taten untersucht. Es handelt sich dabei sowohl um registrierte und unregistrierte Straftaten, als auch um solche im strafunmündigen Alter. Wobei bei letzterem besondere Umstände wie zum Beispiel eine gewisse Zielstrebigkeit hinzukommen müssen, um eine Relevanz zu begründen. Im Ergebnis stehen hier eine Umschreibung der letzten Tat, Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit vorherigen Taten, sowie eine eventuelle Entwicklungstendenz.
 
Im Lebensquerschnitt wird der Zeitraum unmittelbar vor der letzten Tat auf bestimmte Kriterien untersucht. Hierbei können auch zwei Zeiträume gebildet werden, wenn zwischen den Taten ein längerer Zeitraum liegt und sich die Umstände zwischenzeitlich geändert haben. Die Prüfung erfolgt anhand so genannter Relationsbegriffe. Dabei werden die Lebensumstände auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von positiven oder negativen Kriterien untersucht. Beispiele für negative so genannte K-Kriterien sind eine fehlende Lebensplanung oder auch ein unstrukturiertes Freizeitverhalten. Beispiele für positive so genannte D-Kriterien sind eine Anpassungsbereitschaft oder die Erfüllung sozialer Pflichten. Das Ergebnis soll eine Aussage darüber enthalten, welche K- und D-Kriterien vorliegen und welche nicht. Ebenso soll gezeigt werden, wie lange jene Verhaltensweisen in die Vergangenheit zurückreichen. Zu beachten ist ferner, dass die kriminovalenten Kriterien in Form der K- und D-Kriterien nicht alle einseitig gegeben sind, sondern dass stets Mischungen vorhanden sind. Der dritte Bereich beinhaltet Relevanzbezüge und die Werteorientierung. Relevanzbezüge bezeichnen charakteristische Interessen und bestimmende Grundintentionen des Probanden, die sein Verhalten und seine Lebensführung in besonderer Weise prägen und gestalten. Werteorientierungen sind dagegen abstrakte Prinzipien und Werte, die für das Handeln des betreffenden Menschen bisher bestimmend waren. Diese sind aufgrund der schwierigen inneren und emotionalen Untersuchung eines Menschen nur schwer zu erkennen und daher oft nur ansatzweise zu bestimmen. Die Auswertung soll somit ein klareres Bild des Probanden entwerfen, sowohl bezüglich seiner Lebensentwicklung, als auch seiner inneren Werte und Vorstellungen.
 
Die kriminologische Beurteilung nach den Bezugskriterien der kriminologischen Trias untergliedert sich in drei eventuell in vier Punkte. Zunächst erfolgt eine Einordnung der Stellung der Tat im Lebenslängsschnitt hinsichtlich vier verschiedener Möglichkeiten. Namentlich sind dies die kontinuierliche Hinentwicklung zur Kriminalität mit frühem oder späten Beginn, der kriminelle Übersprung, Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsreifung und die Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit.
 
Im Rahmen der Auswertung des Lebensquerschnitts werden kriminorelevante Konstellationen gebildet, die sich in eine kriminovalente und eine kriminoresistente Ausprägung unterteilten. Erstere ist Anzeichen für eine starke kriminelle Gefährdung, letztere bezeichnet eine gewisse Resistenz eines Menschen gegenüber Straffälligkeit. Hierbei müssen alle Kriterien der jeweiligen Konstellation nicht nur additiv vorliegen, sondern ineinander übergreifen. Als Beispiel für die kriminovalente Konstellation sei hier das fehlende Verhältnis zu Geld und Eigentum, sowie die fehlende Lebensplanung genannt.
 
Als dritter Punkt werden sodann die Relevanzbezüge und die Werteorientierung ausgewertet. Diese ergänzen das Bild des Täters und runden es ab.
 
Auf besondere Aspekte im Leben des Probanden kann bei Vorliegen im Rahmen eines weiteren Punktes der Auswertung Bezug genommen werden. Vor allem sind dies Aspekte, die sein Verhalten im alltäglichen Leben besonders charakterisieren oder gestalten.
 
Schließlich werden die Folgerungen im Hinblick auf die weitere Entwicklung des Probanden in drei Abschnitten dargestellt. Die grundsätzliche Prognose ist die typische Prognose jener Kategorie, welcher der Proband zugeordnet wurde. Diese ist zum Beispiel bei einer Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsreifung grundsätzlich günstig. Hierauf folgt die individuell auf den Probanden zugeschnittene Basisprognose. Jene bezeichnet die Abweichungen des konkreten Verhaltens von den charakteristischen Ausprägungen der betreffenden Kategorie. Anschließend erfolgt die individuelle Interventionsprognose. Diese beschäftigt sich mit den vermutlichen Auswirkungen von künftigen Maßnahmen und sonstigen Reaktionen auf den Täter und beinhaltet alle möglichen Sanktions- und Reaktionsmöglichkeiten. Im Hinblick auf die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie werden hier Vorschläge gegeben. Im dargestellten Beispiel der Kriminalität im Rahmen der Persönlichkeitsreifung wäre es diesbezüglich hilfreich, dem Probanden durch einzelne oder mehrere Hilfestellungen über die Phase erhöhter Kriminalität hinwegzuhelfen.
 
Eine Besonderheit stellt die Einordnung obiger Methode in die allgemeinen Hauptarten der Prognosemöglichkeiten dar. Eine solche Zuordnung ist nicht eindeutig möglich, da sie Elemente aller drei Hauptarten in sich vereint und somit zunächst grundsätzlich die Vor-, als auch die Nachteile jener zu tragen hat. Eine Eindämmung der Nachteile wird über die oben dargestellten Regularien zu erreichen versucht. Vorteilhaft hinsichtlich der Methode ist, dass sie auch ohne spezielle Ausbildung nach kurzer Eingewöhnungsphase angewandt werden kann. Ebenso erfolgt aufgrund der annähernd vollständigen Erfassung der Täterpersönlichkeit und der damit verbundenen speziellen Einwirkungsmöglichkeiten, eine gezielte Gewichtung und Darstellung der beim Täter vorliegenden Merkmale. Kritisch zu sehen ist der relativ hohe Zeitaufwand. Zudem liegt die Ausfüllung und Wertung der Begrifflichkeiten trotz der festgelegten Vorgehensweise im Ermessen des Anwenders, weswegen eine absolute Objektivität nicht gewährleistet ist. Zugeschnitten ist die Methode vor allem auf Vermögens- und Eigentumsdelikte, was eine Transferanwendung auf andere Bereiche ohne notwendige Modifikationen erschwert.
 
Allen Prognosemethoden ist zu Eigen, dass sie niemals mit 100 prozentiger Sicherheit das Legalverhalten eines Probanden vorhersagen können. Es kann allenfalls versucht werden herauszuarbeiten, welche Methode in der jeweiligen Situation die Beste ist, beziehungsweise welche Entwicklungen oder Modifikationen notwendig sind, um ein möglichst sicheres Ergebnis zu erzielen.
 

 
Literatur
 
- Bock, M.: Kriminologie. München 2000.
- Kaiser, G: Kriminologie. Heidelberg 1997.
- Kaiser / Schöch: Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. München 2006.
- Schwind, H-D.: Kriminologie. Heidelberg 2006.

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