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Ordnungswidrigkeit
 
Eine Ordnungswidrigkeit begeht, wer durch eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Es handelt sich also um abweichendes Verhalten, das von der Rechtsordnung mit einer förmlichen, repressiven Sanktion "unterhalb" der Strafe belegt wird. Zuständig dafür sind in erster Linie Verwaltungsbehörden; die Strafjustiz befasst sich mit Ordnungswidrigkeiten nur am Rande. Der gerichtliche Rechtsschutz gegen behördliche Bußgeldbescheide erfolgt allerdings durch die Strafgerichte in einem Verfahren, das dem Strafverfahren (auch in den rechtsstaatlichen Standards) sehr ähnlich ist. Das Ordnungswidrigkeitenrecht wird deshalb auch zum Strafrecht "im weiteren Sinne" gezählt. Verwandte Institute sind z. B. die Verwaltungsübertretung im österreichischen Verwaltungsstrafrecht sowie auf europäischer Ebene die von der Kommission auf Grund der EG-KartellverfahrensVO verhängten Geldbußen.
Ordnungswidrigkeitentatbestände finden sich in zahlreichen Gesetzen verstreut. Allgemeine Regelungen für sie enthält das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). Aus ihnen ergibt sich beispielsweise, dass anders als im Strafrecht nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden wird ("Einheitstäter") und Sanktionen auch gegenüber Personenverbänden verhängt werden können (§ 30 OWiG). Auch das strafprozessuale Legalitätsprinzip gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht; die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt vielmehr "im pflichtgemäßen Ermessen" der Verfolgungsbehörde (§ 47 Abs. 1 S. 1 OWiG).

Die Ordnungswidrigkeit wird prinzipiell nur mit einer Geldbuße geahndet, die im Regelfall zwischen 5 € und 1000 € liegen darf. In bestimmten Fällen sind jedoch weitaus höhere Beträge (etwa im Wertpapierhandelsgesetz bis zu 1 Mio. €) vorgesehen. Die Bemessung der Geldbuße innerhalb dieses Rahmens wird häufig durch behördliche Bußgeldkataloge und -leitlinien konkretisiert. Ein an der individuellen Leistungsfähigkeit des Betroffenen orientiertes Tagessatzsystem wie bei der Geldstrafe gibt es hier nicht. Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr können daneben auch ein maximal dreimonatiges Fahrverbot nach sich ziehen; in manchen Bereichen ist ferner die Abschöpfung des durch die Tat erzielten Mehrerlöses möglich. Freiheitsentziehende Sanktionen sind dagegen nicht vorgesehen; bei der in § 96 OWiG geregelten Erzwingungshaft handelt es sich lediglich um ein Druckmittel für die Vollstreckung von Geldbußen. Mit der "Verwarnung" (§§ 56 ff. OWiG) besteht auch im Ordnungswidrigkeitenrecht die Möglichkeit, das Verfahren informell und einverständlich zu erledigen.

Der Bußgeldbescheid wird in einem Verwaltungsverfahren durch die jeweils zuständige Behörde erlassen (im praktisch bedeutsamsten Bereich straßenverkehrsrechtlicher Verstöße sind das die Kommunen und die Polizei). Durch seinen Einspruch kann der Betroffene die Sache jedoch in ein gerichtliches Verfahren überleiten, für das im wesentlichen die Regeln der Strafprozessordnung und des Jugendgerichtsgesetzes gelten (Einzelheiten: § 46 OWiG).

Während sich Straftaten und Ordnungswidrigkeiten anhand der gesetzlichen Terminologie und der an sie geknüpften Sanktionen formal klar unterscheiden lassen, ist eine materiale, auch kriminalpolitisch verwertbare Abgrenzung dieser beiden Kategorien bis heute nicht überzeugend gelungen. Entgegen der früheren Lehre, die den Schutz wichtiger Rechtsgüter (Strafrecht) der Ahndung bloßen "Verwaltungsungehorsams" (Ordnungswidrigkeiten- bzw. "Verwaltungsstrafrecht") gegenüberstellte, dienen auch Ordnungswidrigkeitentatbestände dem Rechtsgüterschutz. Am ehesten lässt sich noch sagen, dass die als Ordnungswidrigkeiten zu behandelnden Rechtsgüterverletzungen bzw. -gefährdungen weniger schwerwiegend sind; doch werden mitunter auch erheblich sozialschädliche Verhaltensweisen "nur" als Ordnungswidrigkeit sanktioniert. Im übrigen darf nicht übersehen werden, dass der Entkriminalisierung durch die Herabstufung von Straftaten zu Ordnungswidrigkeiten (insbesondere durch die Strafrechtsreformen 1969/1974) ein beträchtlicher Bestand an Ordnungswidrigkeitentatbeständen gegenübersteht. Dass der Ahndung als Ordnungswidrigkeit praktisch stets der "Ernst" der mit einem persönlichen Vorwurf verbundenen Strafe fehlt, trifft für die große Masse der Alltagsdelinquenz zwar zu, wird aber für bestimmte Fälle wirtschaftlichen Fehlverhaltens gelegentlich bezweifelt.

Anders als bei strafrechtlichen Entscheidungen wird die Verhängung eines Bußgelds nicht im Bundeszentralregister eingetragen. Der Betroffene ist damit auch nicht "vorbestraft". Ab einem Bußgeld von 40 € werden Verkehrsordnungswidrigkeiten jedoch im Verkehrszentralregister des Kraftfahrtbundesamtes, bestimmte andere Bußgeldentscheidungen ab 200 € im Gewerbezentralregister (Bundesamt für Justiz) erfasst. Allein im Jahr 2006 wurden dem Verkehrszentraleregister von den Verwaltungsbehörden ca. 4,1 Mio. Bußgeldbescheide gemeldet. Schon dies lässt erahnen, wie ubiquitär ordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr ist. Hier liegt zugleich der Schwerpunkt der justiziellen Befassung mit Ordnungswidrigkeiten: 91% der ca. 390.000 von den Amtsgerichten im Jahr 2006 erledigten Bußgeldverfahren betrafen Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Im übrigen aber sind empirische Daten im Ordnungswidrigkeitenbereich nicht so leicht zugänglich wie im Bereich des Kriminalstrafrechts: In die Polizeiliche Kriminalstatistik finden Ordnungswidrigkeiten ebenso wenig Eingang wie in das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister. Die "StP/OWi-Statistik" (Reihe 2.3 der Fachserie 10 des Statistischen Bundesamtes) gibt lediglich über Geschäftsanfall und -erledigung bei den Strafgerichten Auskunft, nicht aber über die um ein Vielfaches höhere Zahl von Bußgeldverfahren überhaupt. Besonders deutlich werden diese Begrenzungen des "Hellfelds" in den Fällen, in denen ein grundsätzlich nur als Ordnungswidrigkeit behandeltes Verhalten unter bestimmten erschwerenden Bedingungen zur Straftat hochgestuft wird (etwa, wenn der Täter "gewerbsmäßig" handelt oder gegen das betreffende Verbot "beharrlich" verstößt). Nur dieser formell kriminalisierte Teilbereich eines bestimmten Phänomens kann überhaupt ins Blickfeld einer sich wesentlich auf Kriminalstatistiken stützenden Kriminologie geraten. In den auf Straftaten fokussierten kriminologischen Diskursen führen Ordnungswidrigkeiten (jedenfalls bislang) nur ein Schattendasein.

Literatur:

Achenbach, H. 2008: Ahndung materiell sozialschädlichen Verhaltens durch bloße Geldbuße? Zur Problematik "großer" Wirtschafts-Ordnungswidrigkeiten, in: Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 155. Jg., H. 1: 1-17.
Mitsch, W. 2005: Recht der Ordnungswidrigkeiten, Berlin.
Senge, L. 2006: Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, München.

Schlüsselbegriffe:

Ahndung
Bußgeld
Bußgeldverfahren
Verwaltungsunrecht

Andreas Popp
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