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Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)
 
Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Zusammenstellung aller der Polizei innerhalb eines Jahres bekannt gewordenen strafrechtlich relevanten Sachverhalte. Somit dient die Polizeiliche Kriminalstatistik der Kriminalitätsbeobachtung, und zwar sowohl der Kriminalität insgesamt, als auch einzelner Delikte bzw. Deliktsgruppen. Auch lassen sich Veränderungen des Tatverdächtigenkreises beobachten. Mit Hilfe der PKS können außerdem Erkenntnisse zur Verbrechensprävention und -bekämpfung erlangt werden, sie dient aber auch kriminologisch - soziologischen Forschungen als Grundlage.
 
Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt in ihrem Textteil zunächst Überblicke über die polizeilich bekannt gewordenen Fälle, wobei unter anderem auch Daten zur Schusswaffenverwendung sowie Informationen zum Opfer einer Tat und dem verursachten materiellen Schaden erhoben werden. Ferner werden die Aufklärungsquoten der Delikte angegeben. Aus den Informationen der PKS über die Tatverdächtigen, etwa Geschlechts- und Altersstruktur, Nationalität oder Wohnsitzverteilung, lassen sich Veränderungen des Tatverdächtigenkreises ableiten. Schließlich werden die erhobenen Daten auf die einzelnen Delikte und Deliktsgruppen aufgeschlüsselt. Im Anhang zur PKS sind sämtliche Daten noch einmal in tabellarischer Form dargestellt.
 
In der Polizeilichen Kriminalstatistik sind lediglich Tatverdächtige erfasst. Unberücksichtigt bleibt dabei, ob der vorliegende Tatverdacht für eine spätere Anklagerhebung und Verurteilung ausreicht oder das Verfahren eingestellt wird.
 
Unter Umständen kann die korrekte Fallerfassung in der PKS schwierig sein. So ist grundsätzlich jede im Rahmen eines Ermittlungsvorganges bekanntgewordene rechtswidrige Handlung ohne Rücksicht auf die Anzahl der Geschädigten in der PKS als ein Fall zu erfassen. Probleme können sich aber bei der Berücksichtigung strafrechtlicher Konkurrenzen ergeben. Grundsätzlich gilt, dass in Tateinheit begangene Straftaten, § 52 StGB, auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik als ein Fall registriert werden müssen. Erfasst wird dann dasjenige Delikt, für das die nach Art und Maß schwerste Strafe angedroht wird. Dagegen werden mehrere strafrechtlich relevante Handlungsweisen, die sich bei "natürlicher Betrachtungsweise" als ein einheitliches Tun darstellen und daher strafrechtsdogmatisch auch eine Tateinheit bilden (natürliche Handlungseinheit) nur dann als ein Fall erfasst, wenn die Handlungen derselben PKS-Schlüsselzahl zuzuordnen sind und die mehrfache Begehung derselben rechtswidrigen Tat ausschließlich zum Nachteil desselben Geschädigten erfolgte oder aber Geschädigte gar nicht vorhanden sind. Wenn durch die Verhaltensweisen verschiedene Personen geschädigt oder verschiedene Straftatbestände erfüllt werden, wird die "natürliche Handlungseinheit" hingegen statistisch so erfasst, als ob es mehrere Fälle wären. Daraus folgt, dass bei einem großen Teil der strafrechtsdogmatisch in Idealkonkurrenz stehenden Fallgestaltungen jedes einzelne verwirklichte Delikt registriert wird. Dies führt zu einer überhöhten Wiedergabe in der Kriminalstatistik. Andererseits wirkt diese Art der Registrierung dem Umstand entgegen, dass bedingt durch die Idealkonkurrenz statistisch relativ zu viele schwere Delikte ausgewiesen werden, während die jeweils mitverwirklichten leichteren Delikte nicht selbständig berücksichtigt werden.
 
Die Polizeiliche Kriminalstatistik vermag es nicht, die gesamte Kriminalität eines Jahres in der Bundesrepublik abzubilden. Ihre Aussagen beschränken sich auf die registrierte Kriminalität, auf das sog. "Hellfeld". Erfasst wird nur diejenige Form der Kriminalität, die der Polizei bekannt wird. Welche Delikte der Polizei bekannt werden, hängt sehr stark vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung ab. So beruhen beispielsweise polizeiliche Kenntnisse über Eigentums- und Vermögenskriminalität zu über 90% auf Anzeigen von Privatpersonen. Aufgrund dieser hohen Abhängigkeit der Polizei von Informationen und Anzeigen durch die Bevölkerung lässt sich die registrierte Kriminalität (fast) als direkte Funktion des Anzeigeverhaltens beschreiben.
 
Obwohl die von der Polizei selbst entdeckten Tatverdächtigen quantitativ nur einen relativ geringen Prozentsatz der Tatverdächtigen ausmachen, so ist doch zu bedenken, auf welche Weise diese Verdächtigen "gewonnen" werden. So haben empirische Untersuchungen ergeben, dass in Situationen, die Polizeibeamten verdächtig erscheinen, diejenige Person angehalten und kontrolliert wird, die sich auffällig verhält oder wenigstens auffällig aussieht. In Situationen, die sich als Bagatelle darstellen und in der sowohl Delikt als auch Tatverdächtiger eindeutig feststellbar sind, kann es zu einem Verzicht auf Maßnahmen durch die Polizei kommen, wenn sich der Arbeitsaufwand als zu groß darstellt oder der Tatverdächtige zu den "anständigen" Personen gehört, deren Leben nicht "verpfuscht" werden soll. (Feest / Blankenburg 1972, S. 35ff).
 
Nachdem eine vermeintlich strafbare Handlung angezeigt wurde und diese von der Polizei aufgenommen worden ist, ergeben sich im Zuge der nun folgenden polizeilichen Ermittlungen viele Faktoren, die das Ermittlungsergebnis und somit die Polizeiliche Kriminalstatistik beeinflussen können. So wird das Ermittlungsergebnis zum Beispiel von der Ermittlungsintensität und der Zahl der hierfür verwendeten Beamten beeinflusst. Damit hängen die Aufklärungsquote und Unterschiede in den Aufklärungsquoten verschiedener Delikte auch von der Schwerpunktsetzung der jeweiligen Polizeiführung ab. Sehr deutlich wurde dieser Zusammenhang zwischen Personalressourcen der Polizei, Ermittlungsintensität und deren Auswirkungen auf die Polizeiliche Kriminalstatistik Mitte der 1980er Jahre in Niedersachsen. Hier wurde zur Zeit der Anti-AKW-Proteste im Landkreis Lüchow-Dannenberg die Zahl der Polizeikräfte massiv aufgestockt. Gleichzeitig dazu bzw. danach wurde in der Polizeilichen Kriminalstatistik ein erheblicher Zuwachs an jugendlichen Tatverdächtigen registriert, obwohl die Proteste nicht so massiv waren, wie erwartet. Es zeigte sich also ein Zusammenhang zwischen freien Ermittlungskapazitäten der Polizei und intensiverer Ermittlungsarbeit ("Lüchow - Dannenberg - Syndrom")
 
Ansonsten lässt sich feststellen, dass die polizeiliche Beurteilung der Schwere eines Deliktes von der Arbeitsbelastung und dem Ort der Dienststelle abhängig ist. Untersuchungen zum Umgang der Polizei mit Strafanzeigen und Verdachtsfällen haben ergeben, dass diese zu Zeiten höherer Arbeitsbelastung mit vollendeten Tötungsdelikten seltener bei nicht tödlichen Gewaltdelikten wegen eines Tötungsversuchs ermittelte. Demgegenüber ist die Polizei in kleineren Orten schneller dazu bereit, gewaltsam ausgetragene innerfamiliäre Streitigkeiten als Tötungsversuche zu werten. Generell besteht während der polizeilichen Ermittlungen, vor allem bei der Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen, das Risiko, dass der Sachverhalt in eine bestimmte Richtung "gequetscht" wird. So ist es erforderlich, dass bei Vernehmungen von Beschuldigten (und Zeugen) die Aussageperson die Möglichkeit hat, zunächst in freier Form von sich zu geben, was ihr im betreffenden Zusammenhang als wichtig erscheint, um somit die Gefahr der Beeinflussung der Darstellung durch den vernehmenden Beamten zu minimieren. In der Praxis besteht jedoch die Gefahr, dass die vernehmende Person durch fehlerhaftes Verhalten den Rekonstruktionsprozess der Tat beeinträchtigt, indem diese sich von ihrem vermeintlichen Vorwissen (etwa Berufserfahrung oder Vorinformationen zum Tatgeschehen) leiten lässt und so vornehmlich das erfragt, was sie für relevant hält. Daraus kann resultieren, dass in der Vernehmung ein anderer Sachverhalt als der tatsächliche dargestellt wird, was zu einer Verzerrung der Polizeilichen Kriminalstatistik führen kann. Auch darüber hinaus hat ein Polizeibeamter diverse Möglichkeiten, aus einem Fall das zu machen, was er sich darunter vorstellt. Motivation für diese Vernehmungslenkung durch die vernehmenden Beamten kann sein, dass die Aussage den Tatbestandsmerkmalen des von ihnen in Betracht gezogenen Deliktes angepasst werden soll, das Ermittlungsergebnis "abgerundet" bzw. ein eindeutiger Sachverhalt herausgearbeitet werden soll. Ein weiterer Grund, der Aussage von vernommenen Personen (unbewusst) eine Form und einen Aussagegehalt zu geben, der für den vernehmenden Beamten selbst am günstigsten ist, liegt darin, dass die Qualität eines Polizeibeamten und seiner Dienststelle unter anderem an der von ihm erledigten Anzahl von Aufnahmen von Strafanzeigen bemessen wird, während das Bemühen um eine informelle Konfliktregelung nicht in gleicher Weise honoriert wird. Weiterhin kann für das Bestreben von Polizeibeamten, ein ihnen genehmes Vernehmungsergebnis herbeizuführen, kausal sein, dass ihre Dienststelle ihre Haushaltsmittel leistungsbezogen zugewiesen erhält und es daher im Interesse der Beamten liegt, mittels der Vernehmungslenkung ein für sie günstiges statistisches Ergebnis zu "produzieren". Verschärft wird das Wettbewerbsverhältnis um "Erfolge" in der Polizeilichen Kriminalstatistik noch dadurch, dass die Schutz- und Kriminalpolizei miteinander im Wettbewerb stehen und sich periodisch einem internen Vergleich stellen müssen.
 
Möglicherweise kommt es dann im Fortgang des Verfahrens zu "Umdefinitionsprozessen", wobei Staatsanwaltschaft und Gericht die in Frage stehende Tat unter einen anderen Straftatbestand subsumieren, als die Polizei dies bei Abschluss ihrer Ermittlungen getan hat. Möglich ist auch, dass das Gericht zu anderen tatsächlichen Feststellungen als diejenigen kommt, die der Registrierung des Falles in der PKS zugrunde liegen. Beides lässt sich jedoch der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht mehr entnehmen.
 
Literatur:
 
- Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2004, Wiesbaden 2005.
- Dörmann, Uwe, Die Aussagekraft wesentlich verbessert. Neugestaltung der Polizeilichen Kriminalstatistik, Kriminalisitk 37 (1983), S. 182 ff.
- Feest, Johannes / Blankenburg, Erhard, Die Definitionsmacht der Polizei. Strategien der Strafverfolgung und soziale Selektion, Düsseldorf 1972
- Gundlach, Thomas / Menzel, Thomas, Fehlerquellen der Polizeilichen Kriminalstatistik und ihre Auswirkungen am Beispiel Hamburgs, Münster 1991.
- Schulz, Felix, Die Entwicklung der Delinquenz von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden in Deutschland. Eine vergleichende Analyse von Kriminalstatistiken und Dunkelfelduntersuchungen zwischen 1950 und 2000, Münster u.a. 2006 (zum Druck vorgesehen)
 

Felix Schulz
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