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Schadenswiedergutmachung
 
Die Wiedergutmachung des durch eine Straftat hervorgerufenen Schadens ist ein historisch altehrwürdiges Prinzip des Rechts. Ursprünglich waren zivilrechtliches und strafrechtliches Denken und die entsprechenden rechtlichen Anwendungsgrundsätze entweder gar nicht oder jedenfalls nicht so scharf getrennt, wie wir dies heute aufgrund der modernen Rechtsausdifferenzierung gewohnt sind. In den "Gliedertaxen" des altrömischen Zwölftafelrechts beispielsweise kann man eine Konzeption erkennen, die Elemente des Schadensersatzes und des Schmerzensgeldes nach zivilrechtlichen Kriterien und der Strafe nach strafrechtlichen Kriterien enthält. Wie das römische Recht und viele anderen alten Rechte enthielt auch das frühe germanische Recht bis hin zu den einzelnen sogenannten Rechtsspiegeln der spätmittelalterlichen Stämme (z. B. Sachsenspiegel) die Grundkonzeption, daß für bestimmte Schädigungen bzw. Verletzungen ein bestimmter Ausgleich geleistet werden konnte (in Geld bzw. Naturalleistungen, wie z. B. Vieh), aber auch vom Betroffenen bzw. dessen Sippe akzeptiert werden mußte. Mit der Bezahlung des Wergeldes, um nur das wichtigste Beispiel zu nennen, war für die betroffene Sippe des Opfers das Recht entfallen, die Sippe des Schädigers mit Fehde zu überziehen. Der Zurückdrängung der Fehde allgemein und der Blutrache im besonderen diente im übrigen ein Großteil der Bestrebungen der sich ausprägenden Zentralgewalten, die in Verbindung mit der Entwicklung des modernen Strafrechts standen; äußeres Zeichen dafür sind die verschiedenen großen Landfriedensordnungen, wie sie von den Kaisern oder den Reichstagen erlassen wurden. Das strafende Element trat schon früh in den Vordergrund, bei bzw. gegenüber denen, die nicht zu den Freien und Gleichen gehörten, also den ursprünglichen Sklaven und später beispielsweise den Leibeigenen. Ein weiteres Element in der Zurückdrängung des Ausgleichsgedankens und der Ausbreitung der modernen Strafe bildete das katholische Kirchenrecht mit seinen Kirchenstrafen und den zugrundeliegenden Schuldkonzeptionen.
Die Gesamtheit von früher Theorie und Praxis des auch auf den Strafgedanken bezogenen Schadensausgleiches wird u. a. mit dem Begriff des Kompositionensystems gekennzeichnet. Die Entwicklung des neuzeitlichen Strafrechts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ist charakterisiert durch die zunehmende Betonung des "peinlichen Rechts", abgeleitet vom lateinischen Begriff der poena und verbunden mit dem Aspekt des nicht nur privaten sondern immer ausschließlichen staatlichen Strafanspruchs und der staatlich vermittelten Strafgewalt (jus poenale und jus puniendi). Damit verbunden war eine Zurückdrängung der Position des *Opfers, gerade auch mit Bezug auf dessen strafprozessuale Rechte. Seine zentrale Funktion wurde diejenige des Beweismittels (Zeuge). In den prozessualen Instituten der Privatklage und der Nebenklage blieb ein Teil der alten Positionen erhalten; allerdings pflegt die herrschende Meinung im Strafprozeßrecht davon auszugehen, daß dies anders zu verstehen sei, nämlich dahingehend, daß der Staat in bestimmten Einzelfällen etwas von seinem originären Strafanspruch auf die Privaten zurücküberträgt.

Die anspruchsvollste Wiederbelebung des Gedankens der Wiedergutmachung zwischen Täter und Opfer geschieht seit wenigen Jahren über die erneuerte Debatte zum *Täter-Opfer-Ausgleich. Im geltenden Strafrecht ist die Schadenswiedergutmachung seit 1987 als zentraler Grundsatz des allgemeinen Strafrechts immerhin wieder soweit hervorgehoben, als die Grundsätze der Strafzumessung in § 46 StGB darauf eingehen. Nach § 46 Abs. 2 wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, bei der Strafbemessung gegeneinander ab. Außer den Beweggründen und Zielen des Täters, die neben anderen Kriterien "namentlich" dabei in Betracht kommen, wird am Ende nunmehr genannt: "sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen". Als eigenständige Strafe gibt es im allgemeinen Strafrecht die Schadenswiedergutmachung nicht. Lediglich bei der Strafaussetzung zur Bewährung und der Strafrestaussetzung zur Bewährung wird bestimmt (§ 56 b StGB), daß das Gericht im Rahmen von sogenannten Bewährungsauflagen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen sollen, die Strafaussetzung für den Verurteilten "spürbar" machen kann. Es kann dem Verurteilten auferlegen, nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen. Die Möglichkeit des freiwilligen Anerbietens eines Verurteilten, entsprechende Leistungen zu erbringen, ist seit langen Jahren außerdem ausdrücklich vorgesehen, jedoch in der Praxis sehr selten genutzt worden. Auch im Jugendstrafrecht gibt es diese Bewährungsauflagen. Interessanter ist aber, daß im Rahmen der selbständigen Maßnahmenkategorie der sogenannten Zuchtmittel die Auflagen als eigenständige Sanktionen vorgesehen sind. Nach § 15 JGG kann der Richter dem Jugendlichen und einem nach Jugendstrafrecht Heranwachsenden auferlegen, nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen. Entsprechende Auflagen sind außerdem im Rahmen des sogenannten formlosen Erziehungsverfahrens entweder schon im Vorverfahren durch den Jugendstaatsanwalt allein oder im Zusammenwirken mit dem Jugendrichter, später dann durch den Jugendrichter mit Zustimmung des Staatsanwaltes nach Einreichung der Anklage, innerhalb wie außerhalb der Hauptverhandlung, rechtlich möglich (§§ 45 und 47 JGG); Reaktionsmöglichkeiten, die seit dem Aufkommen der sogenannten Diversionsbewegung zunehmend genutzt werden (*Diversion).
Bei Erwachsenen und solchen Heranwachsenden, auf die das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist, verschafft die in den 70er Jahren eingeführte Vorschrift des § 153 a StPO ähnlich kreative Gestaltungsmöglichkeiten. Danach kann von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen werden, wenn man dem Beschuldigten bestimmte Auflagen oder Weisungen macht und wenn diese geeignet sind, bei geringer Schuld das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Allerdings wird die Auflage Nr. 1, zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine Leistung zu erbringen, im Vergleich zu den anderen Möglichkeiten auch heute nur bzw. erst minimal genutzt, jedenfalls im Vergleich zu der verbreitetsten Auflage, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen (*Staatsanwaltschaft).
Soweit es dem *Opfer einer Straftat selber darum geht, seine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche bereits im Strafverfahren durchzusetzen, bietet die Strafprozeßordnung in § 403 ff. die Möglichkeit, entsprechende Ansprüche im Wege des sogenannten Adhäsionsverfahrens vor dem Strafgericht anhängig zu machen.

Literatur:
- Beste, H.: Schadenswiedergutmachung - ein Fall für zwei? Kriminologisches Journal 1986, 161-181.
- Frehsee, D.: Schadenswiedergutmachung als Instrument strafrechtlicher Sozialkontrolle. Berlin 1987.
- Schöch, H. (Hrsg.): Wiedergutmachung und Strafrecht. München 1987.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Hans-Jürgen Kerner
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