A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z | Alle |
Schaden durch Kriminalität
 
Die Betrachtung der Schäden, die durch Straftaten entstehen, beschränkt sich in der Polizeilichen Kriminalstatistik auf den so genannten Beuteschaden, also das, was bei Eigentums- und Vermögensdelikten an Sachwerten gestohlen wird bzw. betrügerisch abhanden kommt. Danach betrugen 2009 z. B. die Sachwertverluste durch Diebstähle jeder Art bundesweit rund zwei Mrd. Euro, Betrüger richteten Vermögensschäden von rund 2,3 Mrd. an. Die genannten Zahlen sind jedoch nur Anhaltspunkte, da der größte Teil der Kriminalität überhaupt nicht zur Anzeige gelangt und damit auch die Beuteschäden nicht vollständig bekannt werden. Im Bereich angezeigter Straftaten kommt es allerdings insbesondere bei den Delikten, für die Kasko- oder Hausratversicherungen bestehen, nicht selten zu überhöhten Wertangaben, da derartige Taten teils komplett vorgetäuscht oder bei tatsächlich begangenen Taten die Schadenshöhen nach oben manipuliert werden, um höhere Entschädigungen von den Versicherungen zu erlangen. Wie hoch die Differenzen bei Kriminalitätsschäden von Statistik zu Statistik sind, zeigt sich am Beispiel des Ladendiebstahls. Während die PKS für 2009 Schäden von 75 Mio. Euro ausweist, kommt eine Untersuchung des Einzelhandels aus demselben Jahr dagegen auf 2 Mrd. Euro.
 
Die Beschränkung der Verbrechensschäden auf die Betrachtung der Beutewerte greift allerdings zu kurz. So kommt es etwa auch zu Vermögensschäden, die den Opfern durch Verdienstausfälle (z. B. bei Krankenhausaufenthalten nach Körperverletzungen, Zeitaufwand für Neubeschaffung von entwendeten Wertsachen), durch kostenpflichtige Neuausstellung von entwendeten Dokumenten, für Fahrtkosten zu Behörden etc. entstehen. Die Versicherungswirtschaft hat hierzu in zwei repräsentativen Untersuchungen in den 90er Jahren festgestellt, dass die jährlichen Kosten durch betrügerisch inszenierte Autounfälle („Autobumserei“) in Deutschland rund 3 Mrd. Euro betragen. Entschädigt wurden dabei die Fahrzeugschäden, genauso wie Schadensgutachten, Schmerzensgelder, Mietwagenkosten usw. Mit Blick auf das Schadensvolumen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen manipulierten Unfällen nur um ein einziges Segment des Betruges neben vielen anderen handelt.
 
Einen erheblichen Umfang nehmen auch die Sachschäden ein, die im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten wie Einbruchsdiebstählen oder Pkw-Aufbrüchen entstehen. Die zur Beuteerlangung verursachten Schäden wie eingeschlagene Fahrzeugscheiben, aufgebrochene Terrassen- und Wohnungstüren, zerstörte Schranktüren oder Tresore machen nicht selten ein Vielfaches des erlangten Beutewertes aus.
 
Zu den – volkswirtschaftlichen – Kriminalitätsschäden im weiteren Sinne müssen auch die Kosten gerechnet werden, die die Verhütung, Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten mit sich bringen. Einzubeziehen sind dabei die Kosten für strafverfolgende Tätigkeiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft wie auch die Kosten, die sich durch Gerichtsverfahren, die anschließende Strafvollstreckung und den Strafvollzug sowie die Bewährungshilfe aufwerfen, denn ohne Kriminalität entstünden auch diese Kosten für die öffentlichen Haushalte nicht. Insofern lohnen auch Überlegungen zu Haft vermeidenden und dennoch den Repressions- und Präventionszweck erzielenden Alternativmaßnahmen gegen Kriminelle. 2005 warf der Strafvollzug in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 2,5 Mrd. Euro an Sach- und Personalkosten auf. Hinzu kommen die weitaus höheren Kosten für Polizei, Staatsanwaltschaften, Strafgerichte und sonstige Einrichtungen der Strafverfolgung und der Prävention. Schon 1992 hatte die Polizei in Deutschland Kosten von umgerechnet 9 Mrd. Euro verursacht, einen erheblichen Teil davon für die Kriminalitätsvorbeugung und –bekämpfung. Das gesamte Kriminaljustizsystem kostete in den USA im selben Jahr 94 Mrd. Dollar. Die Niederlande mussten zwischen 1995 und 2004 pro Jahr 20 Mrd. Euro zur Kriminalitätsbekämpfung aufbringen.
 
Kriminalität entzieht dem Fiskus und damit der Allgemeinheit zudem Steuereinnahmen, da legale, für die Finanzverwaltung sicht- und besteuerbare Einnahmen durch illegale ersetzt werden. Zwar unterliegen auch solche Einnahmen der Steuerpflicht, die „gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot“ verstoßen (§ 40 Abgabenordnung) – also etwa der Erwerb der Diebes- oder Raubbeute -, jedoch werden Einnahmen aus Eigentums- und Vermögensdelikten von den Betroffenen aus nachvollziehbaren Gründen in der Praxis nicht steuerlich deklariert und werden damit der Besteuerung entzogen.
 
Was die genannten Kriminalitätskosten anbelangt, so werden in der Literatur teilweise auch Gegenrechnungen angestellt. Es wird etwa darauf hingewiesen, dass den Kosten für den Strafvollzug die durch nicht verübte Straftaten der Insassen eingesparten Kosten gegenüberzustellen sind. Das Gleiche gilt für die von Strafgefangenen geleisteten geldwerten Arbeitsleistungen, die der Staatskasse zufließen. Ebenso sind Geldbußen und –strafen aus Gerichtsverfahren dazuzurechnen. In Baden-Württemberg wurden schon 1990 Geldauflagen von umgerechnet 18 Mio. Euro verhängt, die teils den Opfern, teils karitativen Einrichtungen und teils dem Staat zuflossen. Eine volkswirtschaftliche Schadensminderung wird zum Teil auch darin gesehen, dass Gewinne aus kriminellen Handlungen wieder dem legalen Geldkreislauf zugeführt werden und auch legale Arbeitsplätze stützen, wobei hierbei allerdings der Schädigung der individuell betroffenen Opfer nicht Rechnung getragen wird.
 
Doch nicht nur die materiellen, sondern auch die immateriellen Schäden, die jedes Jahr durch Kriminelle verursacht werden, verdienen Beachtung. Im Ranking von Opferbefragungen zeigt sich immer wieder, dass körperliche und seelische Folgen von Straftaten als schlimmer eingestuft werden als materielle.
 
Oft unterschätzt, unbeachtet und häufig auch unbehandelt bleiben psychische Schäden, die nicht nur Opfer von Gewalttaten, sondern vielfach auch Betroffene von Wohnungseinbrüchen oder Existenz gefährdenden Vermögenstaten erleiden. Behandlungsbedürftige Traumatisierungen, die schlimmstenfalls zur Arbeitsunfähigkeit oder zum Suizid führen können, füllen die Palette der psychischen Verbrechensschäden genauso wie Angstzustände, Alpträume, Apathie, Einschränkungen in den bisherigen Alltagsroutinen und Sozialkontakten oder dauerhafte psychische Störungen.
 
Gesundheitsschäden nach Gewalttaten reichen von der kleinen Blessur auf Ohrfeigenniveau bei einer Körperverletzung bis zur dauerhaften Pflegebedürftigkeit und zum Dauerkoma bei Gewaltopfern. Und auch diese immateriellen Schäden haben letztlich wiederum eine volkswirtschaftlich belastende, materielle Komponente. So müssen jedes Jahr von den Sozialversicherungen enorme Summen für ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Kuren, Rehabilitationsmaßnahmen oder Kurz- und Langzeitpflege aufgebracht werden. Kommt ein Gewaltopfer durch die Tat zu einem langfristigen oder dauerhaften Körperschaden oder verstirbt es möglicherweise, so fällt unter Umständen auch ein Verdiener für eine ganze Familie aus – mit allen Folgen, die dies für die bis dahin Versorgten mit sich bringt. Im Gefolge des Verdienstausfalles erleiden ganze Familien außer den Vermögensschäden unter Umständen auch einen sozialen Abstieg und eine erhebliche existenzielle Gefährdung. Auch der Selbstschädigungsaspekt in der Rauschgiftkriminalität ist in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen. So mussten etwa die USA 2002 Kosten von 180 Mrd. Euro für dessen wirtschaftlichen Folgen wie ärztliche Behandlung, Entziehungskuren oder den Verlust der Arbeitsfähigkeit aufwenden.
 
Der Gesetzgeber, der den Opfern in Deutschland lange Zeit kein besonderes Augenmerk geschenkt hat, hat 1976 mit der Einführung des Opferentschädigungsgesetzes und dessen Reform 1985 ein Instrument zur Entschädigung von Gewaltopfern geschaffen, die unter bestimmten Voraussetzungen die Finanzierung von Heilbehandlungs-, Rehabilitations- und vielen weiteren Kosten vom Staat verlangen können. Entsprechende Regelungen für Betroffene von Eigentums- und Vermögensdelikten sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Im so genannten Adhäsionsverfahren (§ 403 ff. StPO) können Opfer bereits im Strafverfahren gegen den Täter eine Entscheidung über Schadenersatzansprüche beantragen. Diese Möglichkeit erspart ihnen die oft langwierigen und kostenaufwändigen Forderungsverfahren des Zivilprozesses. Der Täter-Opfer-Ausgleich mit seinen Vereinbarungen zwischen dem Delinquenten und dem Opfer ist ein weiteres Instrument zur Schadenswiedergutmachung. Daneben stehen dem Opfer natürlich die althergebrachten Werkzeuge des Schadensersatzanspruches (§§ 823 ff. BGB) im Zivilverfahren zur Verfügung. Gegen viele vermögens- und einkommenslose Täter laufen hier die Forderungen der Opfer aber mangels Masse ins Leere, so dass die Betroffenen auf ihren Schäden sitzen bleiben. Nach einer in Linz durchgeführten Befragung von Wohnungseinbruchsopfern kamen gerade einmal 40 % aller Opfer in den Genuss von Entschädigungen. Diese Schadenswiedergutmachungen wurden größtenteils nicht von den Tätern, sondern zu mehr als 90 % von Versicherungen geleistet.
 
Literatur:
 
- Spengler, H. Ursachen und Kosten der Kriminalität in Deutschland – Drei empirische Untersuchungen (Dissertation), Technische Universität Darmstadt (Hrsg.), Darmstadt 2005
- Sautner, L. Opferinteressen und Strafrechtstheorie, Innsbruck 2010
- Gesamtverband d. deutschen Versicherungswirtschaft Jahrbuch 2010 – Die deutsche Versicherungswirtschaft, Berlin 2010
 
Stichwörter: Kriminalitätsschäden / Kriminalitätskosten / Tatbeute / Opfer / Opferentschädigungsgesetz / Täter-Opfer-Ausgleich
 

Frank Kawelovski
© 2006-2024 Thomas Feltes | Impressum | Datenschutz