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Sozialtherapie
 
Als "Maßregel der Besserung und Sicherung" sah § 65 StGB von 1969 bis Ende 1984 die Unterbringung von Straftätern in einer sozialtherapeutischen Anstalt mit einer Höchstdauer von 5 Jahren vor. Diese Maßregel sollte neben einer Strafe verhängt und vor dieser vollstreckt werden, wobei die Verweildauer in der Sozi-altherapie auf die Freiheitsstrafe anzurechnen gewesen wäre. Allerdings erlangte die Vorschrift des § 65 StGB niemals Gesetzeskraft. Ihr Inkrafttreten wurde (aus finanziellen, aber auch grundsätzlichen Gründen) dreimal (von 1969 auf 1973, dann auf 1977 und schließlich auf 1985) verschoben, bevor alle die Sozialtherapie betreffenden Vorschriften im StGB Ende 1984 ersatzlos gestrichen wurden. Seit 1985 ist die Sozialtherapie damit nur noch im Strafvollzugsgesetz geregelt (sogenannte "Vollzugslösung"; §§ 123ff. StVollzG).

Die sich über 15 Jahre erstreckende Auseinandersetzung mit der Sozialtherapie begann bereits in den 60er Jahren, als im Zuge der allgemeinen Strafrechts- und Strafvollzugsreform ein bis dahin hauptsächlich in den USA und in Skandinavien vorherrschendes Rehabilitationsmodell, das im wesentlichen von einem medizinischen Behandlungsbegriff (*Behandlung) geprägt war, für das deutsche Strafrecht übernommen werden sollte. Vorbild waren Konzepte, wie sie durch die in Herstedvester (Dänemark) praktizierte sogenannte Psychopathenverwahrung bzw. den entsprechenden Maßregelvollzug in den Niederlanden (von-der-Hoeven-Klinik in Utrecht) repräsentiert wurden. Während sich die ursprüngliche "Maßregellösung" auf besonders schwer belastete oder gefährliche Tätergruppen beschränkte, betrifft die nun im StVollzG geregelte "Vollzugslösung" einen sehr viel größeren (potentiellen) Personenkreis. Nach § 9 StVollzG kann ein Gefangener mit seiner Zustimmung (diese Einschränkung wurde 1985 neu eingeführt) in eine sozialtherapeutische Anstalt oder (neuerdings) eine entsprechende Abteilung verlegt werden, "wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen dieser Anstalt zu seiner Resozialisierung angezeigt sind". Damit kann praktisch jeder Gefangene, der dies will, auch sozialtherapeutisch behandelt werden, sofern er als "behandlungsgeeignet" eingestuft wird. Als Sonderregelung für diese Sozialtherapie sieht das StVollzG zusätzlichen Sonderurlaub zur Entlassungsvorbereitung vor, ebenso wie eine "nachgehende Betreuung" und die Wiederaufnahme bereits entlassener Gefangener auf freiwilliger Grundlage. Aufgrund der Gesetzesänderung könnte theoretisch sozialtherapeutischer Vollzug auch in (z.B. privat betriebenen) Anstalten möglich sein, die nicht der Landesjustizverwaltung unterstehen. Davon wurde aber noch kein Gebrauch gemacht.

Die insgesamt 12 Anstalten mit 1988 regelmäßig rund 800 Haftplätzen deken damit etwas über 1 % der gesamten Vollzugskapazität ab und machen die marginale, aber dennoch heftig umstrittene Stellung der Sozialtherapie im Vollzug deutlich. Inhaltlich definiert das Gesetz nämlich nicht, was unter Sozialtherapie zu verstehen ist. Zwar soll es sich nach Auffassung der die Sozial-therapie propagierenden Vertreter nicht lediglich um psychotherapeutische Behandlung im Vollzug, sondern um die umfassende Veränderung von Organisationsstrukturen und Vollzugsablauf im Vergleich zum Regelvollzug han-deln; da aber das Grundprinzip des Freiheitsentzuges auch im Rahmen einer Sozialtherapie (wenn auch mit "Lokerungen") gilt, werden immer mehr Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit und der Wirksamkeit von Sozialtherapie vorgebracht (*Behandlung). Immerhin gibt es auch im Bundesgebiet nach inzwischen über 15jähriger Erfahrung mit dieser Vollzugsart keine festgelegte Behandlungsme-thode, ebenso fehlt es vor allem an gesichertem Wissen über die tatsächlichen Wirkungen therapeutischer Einflußnahmen bei bestimmten Tätern. Der ursprünglich ausschließlich medizinisch ausgerichtete Behandlungsbegriff, der auch daran deutlich wird, daß eine der ersten sozialtherapeutischen Anstalten auf dem Hohenasperg bei einem Vollzugskrankenhaus eingerichtet wurde, hat sich inzwischen in Richtung lerntheoretisch orientierter Behandlungsmethoden gewandelt. Die vom Gefangenen selbst verlangte (und von der Vollzugsleitung dann zu bestätigende) Erklärung der Krankheit bzw. der eigenen Behandlungsbedürfigkeit ist aber nach wie vor konstitutiv für eine Sozialtherapie. Nur wer sich so definiert, hat eine Chance, in den Genuß der verschiedenen Vergünstigungen der Sozialtherapie zu kommen; daß mit dieser Definition als krank bzw. behandungsbedürftig auch ein Leugnen der eigenen wie fremden Verantwortlichkeit für diesen Zustand bzw. für die begangene Straftat verbunden ist, ist wesentlicher Ansatzpunkt der Kritik an der Behandlung überhaupt. Darüber hinaus wurde der Vorwurf der "positiven" Selektion in dem Sinne erhoben, daß für die Sozialtherapie genau die Gefangenen ausgewählt wurden, die für das Funktionieren des sozialtherapeutischen Vollzugs wie für entsprechend positive Rückfallquoten garantieren. Immerhin hat der bisherige sozialtherapeutische Vollzug gezeigt, daß auch mit wesentlich mehr Vollzugslockerungen, geringeren Haftkosten (durch häufigere vorzeitige Entlassungen bereits nach 2/3 der Straf-zeit), weniger Arrest und sonstigen Disziplinar- oder Sicherungsmaßnahmen und so gut wie keinen Problemfällen, wie Selbstmorde oder Nahrungsverweigerun-gen, Strafe zumindest genauso "erfolgreich" vollzogen werden kann wie es der ansonsten in 99 % der Fälle übliche Regelvollzug tut (*Strafvollzug). Als wesentliche Ergebnisse der umfangreichen empirischen Studien zur Sozialtherapie werden positive Veränderungen auf der Persönlichkeitsebene, ebenso wie verminderte oder weniger schwere Rückfälligkeit angegeben. Allerdings werden diese Ergebnisse insbesondere wegen methodischer Mängel angezweifelt, auch ist ein tatsächlicher Nachweis für die Effizienz der Sozialthe-rapie (noch) nicht geführt worden (*Erfolgsbeurteilung/Erfolgskontrolle, *Rückfall). Insbesondere gelten die gleichen positiven Effekte genauso oder sogar noch verstärkt für andere, weniger repressive Haftformen wie offener Vollzug und bedingte Entlassung (*Sanktionswirkungen). Da es nach den vorliegenden Studien für die Wirkung der Behandlung weder auf die Länge der Behandlungszeit noch auf den konkreten Behandlungsansatz oder die gewählte Therapieform ankommt, dürften die positiven Effekte eher auf die allgemeinen Lockerungen und Übergangserleichterungen als auf spezielle Therapieformen zurückzuführen sein.

Literatur:
- Dünkel, F.: Stichwort "Sozialtherapie". In: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, hrsg. von Kaiser, Kerner, Sack, Schellhoss. Heidelberg 1985, 420 ff.
- Egg, R.: Straffälligkeit und Sozialtherapie. Köln u. a. 1985. Lamott, F.: Die erzwungene Beichte. Zur Kritik des therapeutischen Strafvollzugs. München 1984.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Thomas Feltes
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