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Zero-Tolerance
 
Der Begriff der „Zero-Tolerance“ Strategie beschreibt eine umstrittene und kontrovers dis-kutierte Strategie der Kriminalitätsbekämpfung und Kriminalitätsprävention, die auf dem „Broken Windows“ Ansatz von Wilson und Kelling beruht (vgl. auch Broken- Windows Theorie).
Der wesentliche Inhalt dieser Strategie ist das konsequente Einschreiten durch die Polizei schon bei Ordnungsverstößen unterhalb der Straftatenschwelle, wie z.B. bei aggressivem Betteln, dem öffentlichen Herumlungern, Trinken in der Öffentlichkeit, dem zu lauten Musik hören in der Öffentlichkeit und dergleichen. Ziel ist es, die Kontrolldichte zu erhöhen um auf diese Weise Straftaten bereits im Anfangsstadium aufzudecken bzw. zu verhindern und das Entdeckungsrisiko für Straftäter größer werden zu lassen.
 
Bekannt geworden ist die Zero-Tolerance Strategie vor allem unter dem Namen „New Yorker Modell“, in Deutschland spricht man auch von der Strategie der Null-Toleranz. Die wichtigsten Namen, die man mit der Zero-Tolerance Strategie in Verbindung bringt, lauten Rudolph Giuliani, der von 1994 bis 2002 Bürgermeister von New York City war und William Bratton, der von Giuliani nach seiner Wahl zum Bürgermeister zum Police Commissioner von New York City berufen wurde. Die Zero-Tolerance Strategie wurde von Giuliani nach seiner Wahl zum Bürgermeister in New York implementiert. Vorausgegangen war eine besorgniserregende Kriminalitätsentwicklung in New York City. Diese hatte in den frühen neunziger Jahren, nach einem stetigen Anstieg seit den sechziger Jahren, einen Höhepunkt erreicht.
 
Die eigentliche Umsetzung der Strategie in New York City beinhaltete mehrere Elemente.
Ein wichtiger Punkt war die Umstrukturierung des New York City Police Departement (NYPD). Es wurde zunächst dezentralisiert, d.h. die Leiter der Reviere erhielten mehr Selbstständigkeit und größere Befugnisse. Sie konnten eigenverantwortlich über taktische Maßnahmen und Ressourceneinsatz entscheiden, waren aber im Umkehrschluss auch persönlich verantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg ihrer Maßnahmen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war neben der Umstrukturierung auch die Modernisierung der Polizei im Bereich der Informationsverarbeitung und Auswertung. Ein entscheidendes Element für den erfolgreichen Einsatz der Zero-Tolerance Strategie sind die sogenannten Compstat-Meetings: Elektronisch erstellte Kriminalitätslagebilder wurden ausgewertet um die Personal- und Sachmittel brennpunktorientiert einzusetzen.
 
Das Hauptelement der Zero-Tolerance Strategie ist das konsequente Einschreiten bei Ordnungsverstößen unterhalb der Straftatenschwelle. Die Broken Windows Theorie stellt einen Zusammenhang zwischen Erscheinungen wie Verfall, Unordnung, Vandalismus, aggressivem Betteln, öffentlichem Urinieren und Kriminalität her. Derartige Erscheinungen zeigen, dass sich offensichtlich niemand um diese Straße oder das Stadtviertel kümmert, was wiederum die Entstehung von Kriminalität begünstigt. Daraus folgt für die Polizei, dass sie sich zunächst einmal wieder auf ihre Funktion als Ordnungshüter besinnen muss und ihre Funktion der Verbrechensbekämpfung mit der Bekämpfung der nicht kriminellen Devianz beginnen muss. Die Polizei begann, ihre Kontrolldichte auf den Straßen zu erhöhen und ging konsequent gegen öffentliche Erscheinungen der Unordnung vor. In verschiedenen Aktionen, sogenannten „Operations“ wurde gegen zu laut aufgedrehte Ghettoblaster, überlaute Motorräder sowie Autos mit dröhnender Musik vorgegangen.
Auf diese Weise wurde nicht nur eine Verbesserung der Lebensqualität erzielt, sondern es gab noch einen zweiten Effekt: Eine Ordnungswidrigkeit berechtigt die Polizei zum Einschreiten und dazu, die Identität der Person festzustellen. In einigen Fällen, wenn z.B. keine Identitätspapiere ausgehändigt werden, kann die Polizei die Person auch nach Ausweispapieren durchsuchen. Es kam in der Folge häufig zur Sicherstellung von Waffen und es wurden Personen festgestellt, die zur Fahndung ausgeschrieben waren oder für die Haftbefehle vorlagen. So erreichte man mit dieser Kontroll- und Verfolgungspolitik der Ordnungswidrigkeiten neben der Verbesserung der Lebensqualität und der Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls auch gleichzeitig die Bekämpfung anderer Kriminalitätsformen. Es entstand ein positiver Verstärkerkreislauf: Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wurde gestärkt, es gingen wieder mehr Leute auf die Straße, die informelle Kontrolle erhöhte sich wieder und die Straßen wurden sicherer. Die potentiellen Straftäter nahmen diese erhöhte Kontrolldichte ebenso zur Kenntnis und ließen Schusswaffen und andere verbotene Gegenstände aufgrund der Kontrolldichte zu Hause.
Insgesamt entstand ein Schleppnetzeffekt, d.h. die konsequenten Kontrollen bei Ordnungswidrigkeiten erzeugten ein Netz, in dem sich auch andere Verbrecher fingen und festgestellt wurden.
 
Zusammenfassend hatte die Zero-Tolerance Strategie also drei wesentliche Kernelemente:
1. Die Dezentralisierung des NYPD mit dem Ziel, den verantwortlichen Revierleitern mehr taktischen Spielraum in der Planung und Umsetzung polizeilicher Maßnahmen zu geben, die auf die örtlichen Gegebenheiten in dem jeweiligen Revier zugeschnitten sind.
2. Die Erfolgskontrolle vergangener Maßnahmen und die Planung zukünftiger Maß-nahmen anhand der Analyse von aktuellen und elektronisch erstellten Kriminalitäts-lagebildern. Diese dienen auch als Frühwarnsystem für bedrohliche Kriminalitätsentwicklungen.
3. Das konsequente Einschreiten bei Ordnungswidrigkeiten und Ordnungstörungen unterhalb der Straftatenschwelle mit dem Ziel, das öffentliche Straßenland wieder ordentlicher und sauberer erscheinen zu lassen, dadurch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, die Kontrolldichte zu erhöhen und in der Folge, durch den entstehenden Schleppnetzeffekt, andere Formen von Kriminalität zu bekämpfen.
 
Der Zero-Tolerance Ansatz ist, wie eingangs dargestellt, nicht frei von Kritik und wird kontrovers diskutiert.
Zunächst einmal muss sich die Zero-Tolerance Strategie mit dem Vorwurf auseinandersetzen, sie sei diskriminierend. Es werden die Lebensvorstellungen der (weißen, konservativen) Ober- und oberen Mittelschicht auf alle Teile der Gesellschaft übertragen. Es wird von der Gesellschaft als Ganzes verlangt, sich an die Ideale dieser einflussreichen Schicht anzugleichen und abweichende, alternative Lebensformen werden nicht geduldet. Dadurch wird eine unnachsichtige Haltung gegenüber den Abweichungen junger Menschen gefördert. Diese geforderte und rigorose Verfolgungspraxis ist wiederum gegenläufig zu anderen kriminalpolitischen Maßnahmen im Bereich des Jugendstrafrechts. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Vorwurf, die Zero-Tolerance Strategie bekämpft nur die Symptome, nicht jedoch die Ursachen. Die Ursachen für abweichendes oder Kriminalität begünstigendes Verhalten liegen tiefgründig in schlechter Schulbildung, fehlenden Per-spektiven, sozialer Desintegration, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not. Diesen Ursachen kann man mit der Zero-Tolerance Strategie nicht begegnen.
 
Literaturhinweise:
Kunz, K.-L. 2008: Kriminologie; Bern
Hess, H. 2004: Broken Windows: Zur Diskussion um die Strategie des New York Police Department, in: ZStW 116 (2004) Heft 1: 66-110
Schlagwörter: Broken Windows, Zero-Toleranz, Null-Toleranz, New York, New Yorker Modell, Giuliani

Carsten Rossner
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