Rückfall (www.krimlex.de)
 
Mit der Verhängung und Vollstreckung von Strafen werden in einem folgenorientierten Strafrecht Erwartungen hinsichtlich deren general- und spezialpräventiver Wirkung verbunden. Dabei hat sich ein präventives Strafrecht der empirischen Prüfung zu stellen, da es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht genügt, von bloßen Erwartungen auszugehen, vielmehr sind empirisch überprüfbare und hinreichend gesicherte Anhaltspunkte erforderlich, dass ein Eingriff mit dem Mittel der Strafe geeignet und erforderlich ist. Denn eines der wesentlichen Ziele eines Präventionsstrafrechts ist die Verhinderung des Rückfalls.
 
Die Messung der Wirkungen und damit des Erfolgs strafrechtlicher Sanktionen gehört mit zu den schwierigsten Problemen kriminologischer Forschung. Dabei besteht die größte Schwierigkeit darin, den empirischen Nachweis zu führen, dass der gemessene Erfolg, die Legalbewährung, eine Wirkung der Sanktion ist. Da der Gesetzgeber dem Strafvollzug in § 2 S. 1 StVollzG als zentrale Aufgabe „ein Leben ohne Straftaten“ vorgegeben hat und eine Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 I 1 StGB von einer günstigen Sozialprognose abhängt, nämlich von der Erwartung, der Verurteilte werde „keine Straftaten mehr begehen“, ist es berechtigt, erneute Straffälligkeit als zentralen „Misserfolgsindikator“ des Strafrechts zu verwenden. Dient die Rückfälligkeit als Misserfolgsindikator, so ergeben sich weitere Schwierigkeiten aus dem Fehlen eines einheitlichen kriminologischen Rückfallbegriffs.
 
Der Rückfallbegriff kann von einem sehr weiten, nur auf eine erneute Straftatbegehung abstellenden Begriff bis hin zu einem sehr engen Rückfallbegriff, der nur die mehrfache und in begrenzten Zeiträumen wiederholte und strafrechtlich geahndete Straftatbegehung umfasst, reichen. Danach sind verschiedene Definitionen und Ausprägungen des „Rückfalls“ denkbar:
 
- Rückfall kann jede erneute Straftat sein, einschließlich derer, die im Dunkelfeld verbleiben,
 
- Rückfall kann nur eine justiziell sanktionierte Straftat sein, einschließlich nur informell sanktionierter Taten,
 
- Rückfall kann nur die Begehung desselben oder gleich schwerer oder schwererer Delikte sein, so dass nur sachlich relevante Straftaten erfasst werden,
 
- Rückfall kann nur Verurteilungen zu und Vollstreckung von (bedingter/unbedingter) Freiheitsstrafe umfassen oder
 
- Rückfall wird von einem bestimmten Zeitraum, innerhalb dessen die (Rückfall-)Tat begangen wird, abhängig gemacht.
 
Da sich Rückfallbegriffe unterschiedlichster Reichweite bilden lassen, wird die Vergleichbarkeit von Evaluationsstudien nicht oder nur eingeschränkt möglich.
 
Problematisch stellt sich weiterhin die Bestimmung des Rückfallzeitraumes dar. Unter Berücksichtigung der Löschfristen des Bundeszentralregisters wird der Rückfallzeitraum in Deutschland regelmäßig auf vier bis fünf Jahre begrenzt. Allerdings können sich dann bei Delikten, die sich durch das ganze Leben des Täters ziehen, zu niedrige Rückfallzahlen ergeben. So hält beispielsweise die internationale Rückfallforschung bei Sexualstraftätern wesentlich längere Rückfall-Beobachtungszeiten für erforderlich, da die sexuelle Deviation ein robuster Hang ist, der jahrelang anhält; etwa nur die Hälfte der Rückfall-Sexualstraftäter wird in den ersten fünf Jahren nach ihrer Entlassung verurteilt.
 
In der Feststellung eines kausalen Zusammenhangs zwischen der auferlegten Strafe und dem Rückfall besteht die methodisch größte Schwierigkeit, denn niedrige Rückfallraten beweisen keinen positiven Einfluss der Strafe und hohe Rückfälligkeit muss nicht durch die Sanktion bewirkt sein. Methodische Voraussetzung der Erfolgsmessung ist, dass durch Kontrolle sämtlicher Störvariablen sichergestellt werden kann, dass die Variation der abhängigen Variablen (hier: Rückfall) möglichst zweifelsfrei auf die Variation der unabhängigen Variablen (hier: Strafe nach Art und Höhe) zurückgeführt werden kann. Das experimentelle Vorgehen gilt dabei als idealer Versuchsplan, indes sind in der Sanktionsforschung Experimente aus rechtlichen wie aus ethischen Gründen zumeist nicht zu verwirklichen. Somit kann die Legalbewährung nur bedingt gemessen werden.
 
Bis vor kurzem stützte sich in Deutschland das empirische Wissen über Rückfallraten nach einzelnen Sanktionen lediglich auf einzelne Untersuchungen, die zumeist regional und zeitlich beschränkt waren sowie unterschiedliche Rückfallzeiträume und Rückfalldefinitionen verwendeten. Erst mit der 2003 veröffentlichten Rückfallstatistik liegen Befunde über die Rückfallraten hinsichtlich sämtlicher förmlicher Sanktionen vor. Bezogen auf das Jahr 1994 und für einen Rückfallzeitraum von vier Jahren gilt: - Rückfälligkeit ist die Ausnahme, nicht die Regel; so wurden nur ca. 36 % aller Verurteilten innerhalb von 4 Jahren erneut justiziell registriert.
 
- Die Rückfallraten sind altersabhängig recht ungleich verteilt. Die Rückfallraten junger Menschen sind – ebenso wie die Kriminalitätsbelastung – deutlich höher als die von Erwachsenen.
 
- Die Rückfallraten nehmen in der Tendenz mit der Schwere der Vorsanktion zu: Je härter die verhängte Sanktion ist, desto höher sind die Rückfallraten.
 
- Von den nach Jugendstrafrecht verurteilten Tätern weisen die zu einer unbedingten Freiheitsstrafe oder zu Jugendarrest Verurteilten die höchsten Rückfallraten auf. Von den nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten sind dies die zu unbedingter Freiheitsstrafe Verurteilten.
 
- Kommt es zu einer Wiederverurteilung, dann ist eine freiheitsentziehende Sanktion eher die Ausnahme.
 
Die Ergebnisse der Rückfallstatistik ersetzen indes keine Forschung über die Wirkung von Sanktionen, da diese nicht notwendigerweise etwas über die kausale Wirkung von Sanktionen besagen. Denn Personen, die beispielsweise mit einer harten Sanktion bestraft worden sind, gehören eventuell einer Gruppe an, die unabhängig von der verhängten Sanktion ein erhöhtes Rückfallrisiko aufweist. Dennoch ermöglichen die deskriptiven Daten der Rückfallstatistik die Bewertung, ob sich die Erwartungen hinsichtlich der spezialpräventiven Wirkung von Sanktionen durch die Empirie stützen lassen oder sich als unhaltbar erweisen.
 
Literatur:
- Heinz, Wolfgang/Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.): Rückfallforschung, Wiesbaden 2004;
- Heinz, Wolfgang: Die neue Rückfallstatistik – Legalbewährung junger Straftäter, in: ZJJ 2004, 35-48;
- Heinz, Wolfgang: Rückfall- und Wirkungsforschung – Ergebnisse aus Deutschland, abrufbar unter: http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Heinz_Rueckfall-und_Wirkungsforschung_he308.pdf

Dominique Best