Kriminologische Regionalanalyse (www.krimlex.de)
 
Kriminologischen Regionalanalysen liegt die Annahme zugrunde, dass die Beschaffenheit einer Stadt, eines Stadtteils oder einer Region entscheidende Auswirkungen auf das Sozialverhalten und damit auch auf die Kriminalität hat. Sie zielen darauf ab, Daten aus vielen - nicht nur polizeilichen - Quellen zusammenzutragen und zu analysieren, um daraus eine wohlbegründete regionale Kriminalstrategie zu gewinnen. Kriminologische Regionalanalysen liefern ferner eine Beschreibung der räumlichen Kriminalitätsverteilung und analysieren die Ursachen von Kriminalität in einem begrenzten kriminalgeografischen Raum. Auf der Grundlage einer systematischen Erfassung und Auswertung statistischer Daten sowie der Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen werden maßgeschneiderte Konzepte und Maßnahmen kommunaler Kriminalprävention entwickelt. Jede kriminologische Regionalanalyse wird unter besonderen Bedingungen durchgeführt und ist dadurch einzigartig. Die einfache Übertragung der so gewonnenen Ergebnisse auf eine andere Region ist wenig sinnvoll, weil jede Region ihre spezifischen Merkmale und Einflussfaktoren hat. Es wurde festgestellt, dass großräumige Analysen in Großstädten oder größeren Regionen vor dem Problem stehen, dass wichtige Besonderheiten kleiner Bezirke und Bevölkerungsgruppen einander ausgleichen und dadurch möglicherweise nicht deutlich werden. Umgekehrt bewirkt die Beschränkung auf sehr kleine Räume zu geringe Fallzahlen.

Die kriminologische Regionalanalyse wurde aus der Kriminalgeografie als Modell für die Messung und Analyse von Kriminalität sowie als ein Steuerungsinstrument für ein effektives und effizientes Handeln der Polizei entwickelt. Bereits 1976 definierte Jäger diese als eine fortzuschreibende Dokumentation mit zeitlich und räumlich begrenzter Aussagekraft über die Untersuchungsregion, die Aussagen über lokale Kriminalität und deren Entstehungsbedingungen, Kontrolle und Prognose ermöglicht. Primäres Ziel ist dabei der Abbau von Kriminalitätsfurcht und Kriminalprävention durch die ressortübergreifende Zusammenarbeit der Polizei und aller in Frage kommenden kommunalen Einrichtungen. Im Ergebnis einer kriminologischen Regionalanalyse wird die auf die Praxis zugeschnittene Präsentation der Befunde sowie die befundbasierte Ableitung konkreter Maßnahmen zur kommunalen Prävention erwartet. Die kriminologische Regionalanalyse muss gesellschaftliche, politische sowie städtebauliche Entwicklungsprozesse berücksichtigen und die Wirkung der veranlassten Präventionsmaßnahmen evaluieren.

Das Bundeskriminalamt (BKA) untersuchte im Rahmen des Projektes "Überregionale Lagebilder" die Einbeziehung der kriminologischen Regionalanalyse in die Planung der gezielten polizeilichen Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung. 1988 wurde das Aufbauschema einer kriminologischen Regionalanalyse vorgestellt und die Erprobung dieses Instrumentes in der Praxis vorgesehen. Laut dem Aufbauschema gliedert sich die kriminologische Regionalanalyse in drei Säulen: Untersuchungsregion, Kriminalität und Kriminalitätskontrolle. Im Bereich der Untersuchungsregion werden Daten zur regionalen Gliederung, Bebauung, Infrastruktur, Bevölkerung, Behörden sowie die sozioökonomischen Faktoren und spezielle Indikatoren zusammengefasst und analysiert. Im Abschnitt der Kriminalität werden Daten zur registrierten Kriminalität sowie Ergebnisse spezieller Analysen und Untersuchungen erhoben und ausgewertet. In der Säule der Kriminalitätskontrolle werden die Struktur sowie die Arbeit der Polizei und das Zusammenwirken mit anderen Behörden, Organisationen und Instanzen sozialer Kontrolle untersucht. Ferner werden dort die Medien und Öffentlichkeitsarbeit ausgewertet.

In Deutschland wurden bereits mehrere umfangreiche kriminologische Regionalanalysen durchgeführt. Beispielhaft können hier solche für Neumünster (Schleswig-Holstein), Essen (Nordrhein-Westfalen), Rosenheim (Bayern) und Hamburg-Altona genannt werden. Als Vorreiter der kriminologischen Regionalanalysen gilt der im Jahr 1978 von Schwind und seinen Mitarbeitern veröffentlichte "Kriminalitätsatlas" für Bochum.

Aus der Erfahrung der bereits veröffentlichten kriminologischen Regionalanalysen wurden zwei praktische Aspekte hervorgehoben: die kriminologische Regionalanalyse muss fortgeschrieben werden und der Aufwand für die Erstellung einer solchen Analyse muss in einem vernünftigen Verhältnis zu seinem Nutzen stehen. In der Literatur wird betont, dass justizielle Daten und die Ergebnisse von Bürgerbefragungen zur Erfüllung der Minimalforderungen an die kriminologische Regionalanalyse unabdinglich sind. Auch die Analyse der regional konsumierten Medien darf bezüglich der Meinungsbildung zum Thema Kriminalität und der Beeinflussung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung nicht unterschätzt werden. Medien haben einen Einfluss auf die Vorstellung der Bürger davon, wie es um die Kriminalitäts- und Sicherheitslage in ihrer Region steht. Bei der Analyse der erhobenen Daten müssen mögliche Einflussfaktoren bzw. Veränderungsmöglichkeiten ermittelt werden. Auch entsprechende Auswertungen und Interpretationen durch Wissenschaftler werden für sinnvoll und notwendig erachtet. Nach der Umsetzung muss der Erfolg gemessen werden. Bei der Evaluation sollen die Effektivität und Effizienz der eingeleiteten Maßnahmen überprüft werden. Bei einigen kriminologischen Regionalanalysen wird kritisiert, dass diese auf der Ebene der Datengewinnung und der statistischen Datenanalyse verbleiben. Sie stellen im Ergebnis umfangreiche Bände dar, wodurch ihr praktischer Wert gemindert wird. In vielen Fällen wird das Vorliegen einer kriminologischen Regionalanalyse lediglich zum Anlass genommen, neue bürokratische Strukturen (Räte oder Arbeitsgemeinschaften) zu bilden, ohne dass klare kriminalstrategische Schritte abgeleitet, vereinbart und überprüfbar umgesetzt werden.

"Wenn der Arbeitsaufwand und die damit verbundenen Kosten kontrolliert werden sowie die Aktualität der Ergebnisse gewährleistet ist, erscheint die Kriminologische Regionalanalyse nach wie vor als eine profunde Entscheidungsgrundlage für die politisch und polizeilich Verantwortlichen einer Gemeinde zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit." (Luff, 2004)

Literatur:
Feltes, T. 2000: Kriminologische Regionalanalyse und Lagebilder als Datenbasis polizeilicher Bekämpfungskonzepte. In: Jürgen Stock/ Heinz Büchler (Hrsg.), Erfassung und Bewertung von Konzepten repressiver Kriminalitätskontrolle, Aschersleben 2000, S.43-54 (Ascherslebener Polizeiwissenschaftliche Schriften, Bd. 1)
Luff, J. 1998: Kriminologische Regionalanalyse. Beispiel Rosenheim
Luff, J. 2004: Kriminologische Regionalanalysen, in: Kerner, H.-J., Marks, E. (Hrsg.): Internetdokumentation Deutscher Präventionstag, http://www.praeventionstag.de/content/9_praev/doku/luff/index_9_luff.html, 01.03.2008
Walter, H., Pannenbäcker, F. 1997: Regionalanalysen - Ein Geschäft voller Überraschungen. Erfahrungen aus der kriminologischen Regionalanalyse Essen, in: Kriminalistik, 811-818

Schlüsselwörter: Kriminalität, Region, kommunale Kriminalprävention
Natalia Hankel