Stalking (www.krimlex.de)
Der Begriff „Stalking“ stammt aus dem Englischen und umschreibt in der Jägersprache das pirschende Einkreisen der Beute. Eine einheitliche Definition existiert weder im internationalen noch im nationalen Kontext. Im Deutschen wird Stalking oft – insbesondere im rechtlichen Bereich - unvollständig mit „Nachstellen“ übersetzt. In psychologischen Fachpublikationen sind auch zum Teil die Formulierungen „obsessive Verfolgung“ oder „obsessive Belästigung“ gebräuchlich. Allen bisherigen Übersetzungsbemühungen ist jedoch gemein, dass sie zwar Teilaspekte zutreffend beschreiben können, jedoch kaum geeignet sind, das Phänomen Stalking in seiner Komplexität zu erfassen. Wesentlich für Stalking ist das fortgesetzte Verfolgen oder Belästigen einer Person gegen deren Willen über einen längeren Zeitraum, wobei es im Kern um ein einseitiges Kontaktstreben geht. Zuweilen werden über diese Elemente hinaus noch einzelne weitere Voraussetzungen wie z.B. Heimlichkeit der Verfolgung, ein Bedrohtheitsgefühl des Opfers, zwanghaftes Handeln oder Böswilligkeit des Täters für typisch gehalten. Stalking wird auch als ein Phänomen beschrieben, „das sich im Grenzbereich zwischen kriminellem Verhalten, psychopathologischer Auffälligkeit, misslungener Aufarbeitung von Lebenskrisen und sozialer Lästigkeit abspielt“ (Fischer § 238 StGB Rn. 3 m.w.N.).
Stalking kann durch sehr unterschiedliche Verhaltensweisen geschehen, wie z.B. Auflauern an der Wohnung oder am Arbeitsplatz, Beobachten, Telefonanrufe, Senden von E-Mails oder SMS, Drohungen, Übersendung von obszönen Gegenständen bis hin zu tätlichen Übergriffen. Die häufigsten Stalkinghandlungen bilden Telefonanrufe und das Suchen physischer Nähe. Schwierigkeiten bei der Beurteilung eines konkreten Falls als Stalking resultieren in erster Linie daraus, dass einige Verhaltensweisen – isoliert betrachtet – ein durchaus sozialadäquates Verhalten darstellen, das erst durch ständiges Wiederholen seinen belästigenden Charakter erhält. Manche Verhaltensweisen hingegen erfüllen für sich gesehen schon einen Straftatbestand wie z.B. Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Bedrohung, Nötigung.
Basierend auf empirischen Untersuchungen, nach denen Stalker keine homogene Gruppe bilden, wurden Klassifikationssysteme entwickelt, mit Hilfe derer Stalker verschiedenen Kategorien zugeordnet werden können. Als Klassifizierungskriterium können z. B. die Art der Vorbeziehung zwischen Stalker und Opfer (z.B. „domestic stalker“ und „nondomestic stalker“, die sich danach unterscheiden, ob es eine vorangegangene Beziehung zum Opfer gab oder nicht), die Motivation des Stalkers (z.B. „the rejected stalker“, der eine beendete Beziehung wiederherstellen will, oder „the intimacy seeker“, der eine Intimbeziehung zum Opfer herstellen will), das Handlungsmuster oder das psychische Funktionsniveau und psychiatrische Auffälligkeiten dienen. Da es sich um Typologien handelt, liegt es auf der Hand, dass Stalker oft nicht idealtypisch nur unter eine Kategorie fallen und es Überschneidungen geben kann. Zu berücksichtigen ist, dass die Art des Klassifikationssystems sich durchweg an den Bedürfnissen der jeweiligen Fachrichtung orientiert, so dass z.B. eine Typologie für den therapeutischen Bereich in erster Linie auf Psychopathologien und Behandlungsstrategien ausgerichtet ist, während für eine Typologie im Polizeibereich eher Aspekte der Gefährlichkeit sowie mögliche polizeiliche Maßnahmen im Vordergrund stehen.
Eine breitere wissenschaftliche Beschäftigung mit Stalking als Massenphänomen, von dem nicht nur Prominente betroffen sind, setzte in den USA Mitte der 90-er Jahre ein, während sich die Forschung in Deutschland des Themas mit Verzögerung annahm. Die meisten der bisher zu Verbreitung, Dauer, Täter- und Opferprofil vorliegenden Studien stammen aus dem englischsprachigen Ausland. Sie kommen auf Grund unterschiedlicher Definitionen (vgl. o.) zum Teil zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen. Je weiter die gewählte Definition, umso höher ist tendenziell das Ergebnis zum Vorkommen von Stalking. Auch die gewählten Methoden sind sehr unterschiedlich. So wurden z.B. in manchen Untersuchungen nur weibliche Personen befragt oder die abgefragten Zeiträume unterschieden sich deutlich („innerhalb der letzten 12 Monate“ oder „im Laufe des Lebens“). Die größte bisher vorliegende repräsentative Studie, bei der 16000 Personen – jeweils zur Hälfte Männer und Frauen – befragt wurden, ergab, dass in den USA ca. 8% der Frauen und ca. 2% der Männer im Laufe ihres Lebens in schwererer Form „gestalkt“ wurden (Tjaden/Thoennes 1998), wobei ein deutlich höheres Dunkelfeld vermutet wird. Zwei neuere deutsche Studien lassen eine ähnliche Proportion bei vergleichbarer Belastungssymptomatik in der deutschen Bevölkerung vermuten. Studien, in denen die Schwelle, ab der von Stalking gesprochen wird, niedriger ist, kommen zu höheren Prozentanteilen. Betrachtet man die geschlechtsspezifische Verteilung, so sind nach allen bisherigen Ergebnissen Stalker ganz überwiegend männlich. Dabei variieren die prozentualen Anteile zwischen 67% und 95% mit einem Durchschnittswert von etwa 80%, wobei der prozentuale Anteil männlicher Stalker größer ist, wenn das Opfer weiblich ist. Betrachtet man nur die weniger aggressiven Formen von Stalking, ist der Geschlechterabstand deutlich geringer. Bei den Stalkingopfern wird von einem durchschnittlichen Anteil weiblicher Personen in Höhe von etwa 80% ausgegangen. Betrachtet man die Vorbeziehung zwischen Stalker und Opfer, so ist festzustellen, dass in fast 50% der Fälle die Opfer von ihren Expartner/innen belästigt werden. Diese Konstellation weist auch das höchste Eskalationspotential auf. Nicht selten kommt Stalking als Fortsetzung häuslicher Gewalt in Trennungssituationen vor.
Der als lückenhaft empfundene Rechtsschutz für Stalkingopfer in Deutschland wurde in verschiedener Hinsicht ergänzt. Dies geschah zunächst durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene Gewaltschutzgesetz, das von Stalking Betroffenen eine ausdrückliche und klare Rechtsgrundlage für zivilrechtliche Anordnungen bietet und Verstöße gegen vollstreckbare Anordnungen unter Strafe stellt. Voraussetzung für eine solche Anordnung ist eine widerrechtliche und vorsätzliche unzumutbare Belästigung durch wiederholtes Nachstellen gegen den ausdrücklich erklärten Willen oder eine Verfolgung unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln. Der strafrechtliche Schutz wurde nach einer kontrovers geführten Diskussion über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer Pönalisierung mit In-Kraft-Treten des neuen § 238 StGB am 31.03.2007 erweitert. Schwerere Stalkingformen konnten zuvor bereits mit herkömmlichen Straftatbeständen wie z.B. Körperverletzung, Bedrohung, Vergewaltigung, Sachbeschädigung etc. erfasst werden. Die leichteren Begehungsformen hingegen, bei denen die einzelne Handlung, wie z.B. das Senden einer SMS, noch als sozialadäquat angesehen werden kann, waren vorher nicht oder allenfalls nur sehr schwer strafrechtlich zu verfolgen. Das neue Recht schließt nunmehr diese Strafbarkeitslücke, indem unbefugtes und beharrliches Nachstellen unter Strafe gestellt ist, wenn es die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt. Dieses in § 238 Abs. 1 StGB normierte Grunddelikt ist zugleich relatives Antragsdelikt und Privatklagedelikt. Zwei weitere Absätze in § 238 StGB enthalten Qualifikationen, die einen deutlich höheren Strafrahmen vorsehen als das Grunddelikt und als Offizialdelikte ausgestaltet sind. In prozessualer Hinsicht wird der Straftatbestand ergänzt um die in § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO vorgesehene Möglichkeit, in schweren Stalkingfällen zur Verhinderung weiterer gleichartiger Handlungen Untersuchungshaft anzuordnen (sog. Deeskalationshaft). Betrachtet man die neueren Rechtsänderungen insgesamt, so wird der neue § 238 StGB insbesondere in der Rechtslehre aus verschiedenen Gründen bisher eher kritisch beurteilt. Die wesentlichen rechtlichen Verbesserungen für Stalkingopfer werden vorrangig in dem zivilrechtlichen Instrumentarium nach dem Gewaltschutzgesetz, das eine individuell passende Prävention ermögliche, sowie der zusätzlichen Möglichkeit einer Inhaftnahme gesehen.
Literatur:
• Fischer, T.: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentierung zu § 238 StGB,
55. Aufl., München 2008
• Hoffmann, J.: Stalking, Heidelberg 2006
• Smischek, L.: Stalking – Eine strafrechtswissenschaftliche Untersuchung,
Frankfurt a. M. u.a. 2006
• Voß, H.-G. / Hoffmann, J. / Wondrak, I.: Stalking in Deutschland – Aus Sicht der
Betroffenen und Verfolger, Baden-Baden 2006
Ulrike Mönig