Elektronische Überwachung (Monitoring, Video-Überwachung) (www.krimlex.de)
 
Einführung
Unter staatlicher elektronischer Überwachung sind alle technischen Maßnahmen zu verstehen, die von hoheitlich handelnden Sicherheitsbehörden zum Zweck der Beobachtung und Kontrolle von Personen durchgeführt werden. Klassischerweise werden entsprech-ende Technologien im Bereich der Strafverfolgung auf Grundlage der Strafprozessordnung (z.B. Telekommunikationsüberwachung, GPS-Peilsender) zur Tataufklärung, Täteridentifizierung und Beweisführung eingesetzt, finden aber mittlerweile auch breite Verwendung im Bereich der Kriminalprävention. Hier werden die technischen Überwachungsmaßnahmen oftmals als verdachtsunabhängige Ermittlungen, Initiativ- bzw. Vorfeldermittlungen oder proaktive Kriminalitätsbekämpfung bezeichnet. Vor allem seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 konstatieren Experten einen weltweiten Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik, der sich in der Vorverlagerung staatlicher Präventivbefugnisse hin zur Kontrolle von (abstrakten) Risiken für die Innere Sicherheit äußert. Gerechtfertigt wird diese Ausweitung mit den Prozessen des technischen Fortschritts, den auch Kriminelle in allen Bereichen (Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Kinderpornografie, Terrorismus etc.) für sich nutzen sowie mit der Globalisierung und der damit einher-gehenden Entgrenzung (z.B. leichtere Einreise von Terroristen). Es soll „Waffengleichheit“ hergestellt werden. Der Staat bewegt sich hier in einem Spannungsfeld zwischen Sicherheits- und Freiheitsgewährleistung, denn jede präventive Schutzmaßnahme bedeutet auch gleichzeitig die Beeinträchtigung von Grundrechten. Besonders stark sind regelmäßig das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG betroffen.
Parallel zum Anstieg der Überwachungstechnologien im staatlichen Aufgabengebiet der Inneren Sicherheit findet eine ähnliche Entwicklung in anderen staatlichen, halb-öffentlichen und privaten Bereichen statt. Schlagwortartig sollen hier die Überwachung von Arbeitnehmern (z.B. sog. „Lidl-Affäre; ELENA), von Kunden (z.B. Kundenkarten zur Ermittlung des Konsumverhaltens), von Patienten (elektronische Gesundheitskarte) oder von abgeschotteten Wohngebieten (z.B. „gated communities“ in den USA) genannt werden.
 
Maßnahmen im Überblick
Im Folgenden wird ein kurzer exemplarischer Überblick über die verschiedenen Maß-nahmen staatlicher elektronischer Überwachung gegeben, die in Deutschland verbreitet sind:
- Videoüberwachung im öffentlichen Raum; Kombination mit biometrischer Gesichtserkennung, Bewegungsmuster- oder Audioanalyse
- Biometrische Ausweisdokumente, z.B. ePass
- Übermittlung von Fluggastdaten / „Passenger Name Records“
- Körperscanner an Flughäfen
- Rasterfahndung, Schleierfahndung, Schleppnetzfahndung
- großer Lauschangriff (BverfG-Urteil vom 03.03.2004;1 BvR 2378/98, 1 BvR1084/99)
- repressive und präventive Telekommunikationsüberwachung / Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungen (BverfG-Urteil 02.03 2010; 1 BvR 256/08)
- Online-Durchsuchung (BVerfG-Urteil vom 27.02.2008; 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07)
- DNA-Datenbank
- Finanzkontrollen (z.B. SWIFT-Abkommen)
- „Radio Frequency Identification“ oder kurz „RFID“ (siehe Link: BfD-Faltblatt)
- (internationale) Vernetzung von Datenbanken: z.B. INPOL-neu, Anti-Terror-Datei
 
Ausmaß der Verbreitung in einzelnen Ländern
Die Ausbreitung staatlicher Überwachungsmaßnahmen variiert von Land zu Land je nach politischer, geschichtlicher, rechtlicher und gesellschaftlicher Lage zum Teil sehr. Die Menschenrechtsorganisation Privacy International erstellt gemeinsam mit dem Electronic Privacy Information Center (EPIC) seit 1997 jährlich eine Studie (siehe Link: The 2007 International Privacy Ranking , die zahlreiche Länder in den Blick nimmt. Im Jahr 2007 dominierten ostasiatische Staaten sowie Großbritannien und die USA auf den unteren Plätzen der erstellten Ranking-Liste und erhielten den Titel einer „endemischen Überwachungsgesellschaft“, während sich die meisten europäischen Staaten (auch Deutschland!) im Mittelfeld bewegten. Im Jahr 2006 war Deutschland noch als eines der sichersten Länder eingestuft worden, während in 2007 vor allem die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten (inzwischen Verbot durch BverfG-Urteil vom 02.03.2010) und die Einführung des biometrischen Passes bemängelt wurden. Neuere Studien liegen noch nicht vor.
 
Kritik
Die zentralsten Kritikpunkte werden immer wieder aus verfassungs- und datenschutz-rechtlicher Sicht hervorgebracht: Bereits im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 (BverfGE 65,1) hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig auf die Gefahren von staatlichen Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hingewiesen: Die kaum mehr überschaubare elektronische Überwachung könne zu einem latenten Anpassungsdruck beim Bürger und folglich zur Einschränkung seiner individuellen Handlungsfreiheit bzw. Persönlichkeitsentfaltung sowie zum Verzicht der Ausübung anderer Grundrechte (z.B. Meinungs- und Versammlungsfreiheit) führen. Das in den Medien oft wiederholte Argument: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ untergräbt aus Kritiker-Sicht genau diese Freiheiten und fördert die Tendenz hin zu einem sog. Überwachungs- oder Präventionsstaat mit „gläsernen Bürgern“. Diese Entwicklung werde oftmals durch den gesellschaftlich wie politisch vorherrschenden naiven Glauben befördert, dass tiefere Grundrechtseinschnitte auch zu einem Mehr an Sicherheit führen würden. In diesem Zusammenhang wird gern Benjamin Franklin mit den Worten zitiert: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“ Eine weitere erhebliche Gefahr wird in der mangelnden Kontrollierbarkeit der Datenweitergabe, also einer zunehmenden Aufweichung der Zweckbindung, gesehen. Themen wie Datenmissbrauch und -diebstahl stehen hier immer wieder im Diskurs.
Darüber hinaus wird angeführt, dass die Personengruppen, die ohnehin bereits aufgrund von Selektionsmechanismen im Fokus der Strafverfolgungsorgane stehen, durch proaktive Überwachungsmaßnahmen nun noch stärker betroffen und mitunter sozial ausgegrenzt werden.
Schließlich wird oft vermutet, dass die omnipräsente Terrorgefahr lediglich als vorgeschobene Rechtfertigung dient, um die weitere Implementierung elektronischer Überwachung voranzutreiben, damit die staatliche Macht sowie Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und gleichzeitig die umsatzstarke Sicherheitsindustrie zu unterstützen.
 
Literatur
Schaar, P.: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft. München, 2009.
Simon, A.-C./Simon, T.: Ausgespäht und abgespeichert: warum uns die totale Kontrolle droht und was wir dagegen tun können. München, 2008.
Zurawski, N. (Hrsg.): Surveillance Studies – Perspektiven eines Forschungsfeldes. Opladen / Farmington Hills, 2007.
Schlüsselwörter: Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung, Innere Sicherheit, Prävention, Überwachungsstaat

Katarina Sattler