Häusliche Gewalt (www.krimlex.de)
 
Mit dem Begriff „häusliche Gewalt“ werden zumeist aggressive Verhaltensweisen beschrieben, die auf eine physische oder psychische Schädigung in einem gemeinsamen Haushalt lebender Personen abzielen. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Vielmehr hängt es von fachlichen und institutionellen Zusammenhängen ab, ob der Begriff eher eng oder weit verstanden wird. Dies gilt sowohl für die Definition der Gewalt, die selbst im juristischen Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben kann, als auch bezüglich der Frage, was unter „häuslich“ zu verstehen ist.

Unstreitig ist, dass körperliche Misshandlung als physische Gewalt den Kernbereich der Gewalt darstellt. Ob und ggf. inwieweit auch andere Formen wie psychische, verbale, emotionale und sexuelle Gewalt sowie Aggressionen gegen Sachen einzubeziehen sind, die im Einzelfall durchaus zu einer schwereren Viktimisierung als physische Gewalt führen können, ist umstritten. Diskutiert werden darüber hinaus auch subtilere Verhaltensformen, die möglicherweise vom Opfer und seiner Umwelt nicht als Gewalt wahrgenommen und eingeordnet werden, wie z.B. die gegen den Willen des Opfers herbeigeführte wirtschaftliche Abhängigkeit. Auch unterliegt es kulturellen Einflüssen, was als Gewalt definiert wird.

Soweit es um eine strafrechtliche Verfolgung häuslicher Gewalt geht, liegt es nahe, auf diejenigen Verhaltensformen abzustellen, die den Verdacht eines Straftatbestandes begründen. Insbesondere kommen Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit, das Leben, die persönliche Freiheit, die Ehre, die sexuelle Selbstbestimmung und das Eigentum in Betracht. In der Praxis, die nur das Hellfeld abbildet, werden am häufigsten Strafverfahren wegen einfacher Körperverletzung eingeleitet. Mit deutlichem Abstand folgen Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Nötigung. Es kommen jedoch auch – wenngleich nur selten – schwere Gewaltdelikte wie versuchter oder vollendeter Totschlag oder sexuelle Nötigung vor. Im strafrechtlichen Bereich werden also über die körperliche Gewalt hinaus durchaus auch psychische, verbale und sexuelle Gewalt sowie Gewalt gegen Sachen berücksichtigt, sofern sie die für den jeweiligen Tatbestand erforderliche Intensität aufweisen. Die häufigsten Handlungen bei häuslicher Gewalt in tatsächlicher Hinsicht sind Schläge, Drohungen, Tritte, Beschimpfungen und Würgen. Dabei besteht das Gewaltgeschehen eher selten nur aus einer einzigen Gewalthandlung, sondern zumeist aus mehreren Einzelakten, die zum Teil ineinander übergehen.

Wann es sich bei der Gewalt um „häusliche“ handelt, wird ebenfalls nicht einheitlich beurteilt. Manchmal wird zum Beispiel – je nach Sachzusammenhang – hierunter nur Partnergewalt erfasst und nicht Gewalt gegenüber oder von Kindern, oder der Begriff wird noch enger ausgelegt und ausschließlich als Männergewalt gegen Frauen verstanden. Sogar bei den Polizeibehörden der verschiedenen Bundesländer wird nicht dieselbe Definition verwendet: In Berlin werden z.B. Straftaten zum Nachteil von Kindern ausdrücklich ausgenommen, Angehörige ansonsten aber erfasst. Die bayerische Polizei versteht ebenso wie die Polizei in Hessen unter häuslicher Gewalt nur die Gewalt zwischen Ehe- und Lebenspartnern, während die Polizei in Nordrhein-Westfalen ihrer Arbeit eine weite Definition zu Grunde legt, die sämtliche in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Personen unabhängig vom Verwandtschaftsverhältnis einbezieht. Soweit ersichtlich steht jedoch der Annahme häuslicher Gewalt durchweg nicht entgegen, dass in einer Lebensgemeinschaft unterschiedliche Meldeanschriften existieren oder die häusliche Gemeinschaft in Auflösung befindlich oder bereits aufgelöst ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade die Trennungsphase in einer Beziehung als besonderer Risikofaktor für Gewalt gilt. Auch Taten, die außerhalb der Wohnung, z.B. auf der Straße oder in einer Gaststätte, begangen werden, fallen unter den Begriff der häuslichen Gewalt.

Zur Unübersichtlichkeit trägt ebenfalls bei, dass für zum Teil identische Sachverhalte auch andere Bezeichnungen gebräuchlich sind, wie z.B. „Gewalt im sozialen Nahraum“, „Gewalt in der Familie“ oder „Gewalt in Beziehungen“. Im Verhältnis zu den genannten Begriffen existiert zwar eine große Schnittmenge, die Inhalte sind aber nicht völlig deckungsgleich: So fällt z.B. zweifelsohne die Gewaltanwendung des Ehemannes gegenüber der Ehefrau unter alle Begriffe, die Schläge des Lebenspartners der Mutter gegenüber ihrem Kind jedoch nicht. Ein Datenvergleich wird nicht nur durch diese unterschiedliche Terminologie, sondern auch durch das nicht einheitliche Verständnis des Begriffs „häusliche Gewalt“ (s.o.) erschwert.

Seit den neunziger Jahren wurde häusliche Gewalt - insbesondere die Gewalt gegen Frauen und Kinder - verstärkt als gesellschaftliches Problem wahrgenommen und auf allen fachlichen Ebenen ein Paradigmenwechsel weg von der Behandlung häuslicher Gewalt als Privatangelegenheit hin zu ihrer konsequenten Ächtung angestrebt. Im rechtlichen Bereich ging es sowohl um eine Änderung der Rechtspraxis als auch darum, ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung zu stellen.

Zur Verwirklichung dieses Ziels im Strafrecht trug eine Änderung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren im Jahr 1992 bei, nach der - anders als bisher - nunmehr in der Regel ein (besonderes) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Körperverletzungen im häuslichen Umfeld zu bejahen ist. Empfehlungen der Justizministerien aus dem Jahr 1994 und Hausverfügungen der Staatsanwaltschaften gingen in die gleiche Richtung. Zugleich begann sich die Interventionsstrategie der Polizei hin zur konsequenten Verfolgung häuslicher Gewalt zu ändern. Dass die konsequente strafrechtliche Verfolgung in diesem Bereich gegenwärtig immer noch schwierig ist, liegt mittlerweile in erster Linie an einer recht geringen Mitwirkungsbereitschaft der Opfer, die immer noch seltener als andere Geschädigte Strafanzeige und Strafantrag erstatten. Darüber hinaus handelt es sich bei den Opfern meist um Angehörige, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht; hiervon wird häufig Gebrauch gemacht, wodurch die Beweisführung erschwert wird.

Im zivilrechtlichen und polizeirechtlichen Bereich traten wesentliche rechtliche Änderungen, die den präventiven Opferschutz in der aktuellen Krisensituation deutlich verbessern sollten, am 1.1.2002 in Kraft. Hierbei handelt es sich zunächst um das Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung, das als Kernstück das sog. Gewaltschutzgesetz enthält. Das Gewaltschutzgesetz verbessert den zivilrechtlichen Rechtsschutz der Opfer häuslicher Gewalt in mehrfacher Hinsicht: Personen, die durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, Hausfriedensbruch oder Stalking betroffen sind, können gerichtliche Schutzmaßnahmen wie z.B. Kontakt- und Betretungsverbote erwirken. Darüber hinaus ist es möglich, die Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung zu beantragen; nach dieser Regelung, die dem Grundsatz folgt „Der Täter geht, das Opfer bleibt“, kann das Opfer sogar dann – befristet – in der gemeinsamen Wohnung bleiben, wenn es keinerlei Rechte (Mietrecht, Eigentum) an der Wohnung hat. Schließlich enthält das Gesetz in § 4 einen neuen Straftatbestand, nach dem sich derjenige strafbar macht, der einer vollstreckbaren Anordnung des Gerichts zuwiderhandelt.

Flankierend zu den bundesrechtlichen Regelungen im Zivilrecht sind in den meisten Bundesländern Änderungen der Polizeigesetze in Kraft getreten, die die Möglichkeiten der sofortigen Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbotes auf eine klare gesetzliche Grundlage stellten. In der Regel ist die Polizei die erste Institution, die mit dem Vorfall befasst wird. Sie ist neben der Verfolgung von Straftaten wegen häuslicher Gewalt auch zuständig für Sofortmaßnahmen zum Schutz der Opfer. Während der mehrtägigen Dauer der polizeilichen Wohnungsverweisung (in NRW in der Regel 10 Tage mit Verlängerungsmöglichkeit um maximal 10 weitere Tage) hat das Opfer Zeit, das weitere Vorgehen zu überdenken und sich beraten zu lassen. Insbesondere kann im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine Wohnungsüberlassung nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt werden, die sich bei fristgerechter Antragsstellung unmittelbar an die polizeiliche Verfügung anschließt. Von der polizeirechtlichen Möglichkeit, sofort eine mehrtägige Wohnungsverweisung und ein Rückkehrverbot auszusprechen, wird – mit deutlichen regionalen Unterschieden – derzeit in ca. 22–45% der Fälle Gebrauch gemacht.

Hinsichtlich der persönlichen Merkmale und Lebensumstände der in häusliche Gewalt involvierten Personen sind zum Teil deutliche Unterschiede zwischen Hellfelderkenntnissen und Dunkelfelduntersuchungen festzustellen. Dies gilt insbesondere für die Geschlechtsverteilung. Während Hellfelddaten zwischen 90 und 95% männliche und zwischen 5 und 10% weibliche Tatverdächtige ausweisen, gehen Dunkelfelduntersuchungen zum Teil von einem deutlich geringeren Geschlechterabstand aus. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Dunkelfelduntersuchungen häufig ein weiterer Gewaltbegriff zu Grunde gelegt wird, der den Kontext (z.B. Notwehr) nicht miterfasst und auch Verhaltensweisen mit einbezieht, die strafrechtlich irrelevant sind.

Literatur:

• Lamnek, S. / Ottermann, R.: Tatort Familie, Opladen 2004
• Leuze-Mohr, M.: Häusliche Gewalt gegen Frauen - eine straffreie Zone?, Baden-Baden 2001
• Mönig, U.: Häusliche Gewalt und die strafjustizielle Erledigungspraxis, Baden-Baden 2007
• Schneider, H.J.: Kriminologie für das 21. Jahrhundert, Münster 2001
• Schumacher, S. /Janzen, U.: Gewaltschutz in der Familie, Bielefeld 2003

Ulrike Mönig